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Unsere Zukunft wird nachhaltig vertagt – zufrieden genießen wir den Tag

Wenn am 13. September 2015 in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen ein/e neue/r Bürgermeister/in, ein/e neue/r Landrat/Landrätin gewählt wird, dann geht es auf den Plakaten nicht selten um die Zukunft, aber meist im Sinne der Verlängerung der Vergangenheit.  Die saturierte Zufriedenheit der Bürger/innen soll bloß nicht unterbrochen werden, denn schließlich geht es doch gut. Da soll die Politik doch bitte nicht stören.

Die Wahlbeteiligung dürfte sich bei maximal 50 Prozent, wahrscheinlich aber eher bei 30 bis 40 Prozent einpendeln. Das wird dann wieder bedauert, aber tags drauf achselzuckend abgelegt. Glaubt man der Wahlforschung werden die Wahlen vor allem von den älteren Menschen entschieden, die ihr Wahlrecht noch eher als Pflicht verstehen. Von den Menschen über 65 Jahren gehen rund 80 Prozent zur Wahl, von den Menschen unter 30 Jahren rund 60 Prozent. Und die Älteren stellen doppelt so viele Wahlberechtigte wie die Jüngeren! Dabei werden die Jüngeren am meisten spüren, ob und wenn ja, welche Weichen für die Zukunft gestellt werden. Hingegen sind die älteren Menschen an Veränderungen eher weniger interessiert.

Wird unsere Zukunft mal wieder vertagt? Und wir grillen unsere Würstchen, als ob uns das alles nichts angeht?

In diesen Tagen erleben wir sehr heiße Tage mit tropischen Nächten. Das gab es schon immer - mal. Der Klimawandel wird aber für deutlich heißere Sommer mit deutlich mehr tropischen Nächten, mehr Starkregenfällen und stärkeren Stürmen sorgen. Unsere kommunalen Stadtplanungen  sind darauf gar nicht ausgerichtet. Denn Beton lädt sich noch zusätzlich auf. Mehr Grün, mehr Wasser, mehr Schatten wären einige Lösungsansätze. Zudem wird die älter werdende Gesellschaft mit deutlich mehr gesundheitlichen Herausforderungen, zum Beispiel Herzkreislaufthemen, zu kämpfen haben. Wenn dann noch beachtet wird, dass heute jeder zweite niedergelassene Arzt älter als 53 Jahre ist, in zehn bis 15 Jahren jede zweite Praxis von heute geschlossen sein wird, und der Nachwuchs nicht vor der Tür steht, dann kommt auch einem stärkeren eigenverantwortlichem Gesundheitshandeln eine große Bedeutung zu. Sind das Themen, die für die Zukunft diskutiert werden, oder jemanden interessieren?

Google hat es geschafft zum Synonym für das Suchen und Finden von Informationen im Internet zu sein: Wir googeln. Jetzt strukturiert sich das milliardenschwere Unternehmen neu, das aus den Informationen, die wir ihm kostenlos geben, satte Gewinne erwirtschaftet: Alphabet will man eine Sparte künftig nennen. Mit anderen Worten: das ABC der Zukunft wird künftig Google vorgeben. Die damit einhergehende Digitalisierung unserer Gesellschaft, die mit dem Schlagwort "Unternehmen 4.0" dieses Jahr auf der CEBIT propagiert wurde, und die kommunikative Vernetzung von allem und jedem anstrebt, wird unseren Alltag fundamental verändern. Was heißt das für unsere Freiheit, für unseren Alltag? Verfügen wir über die Kompetenzen, den möglichen Manipulationen (nicht nur im Bereich der Werbung) etwas entgegen zu setzen? Hier wird das lebenslange Lernen nicht nur zum Schlagwort, sondern zur Notwendigkeit eines langen Lebens. Doch wird das Thema bildungspolitisch aufgegriffen? 30 Prozent der Achtklässler verfügen nicht über ausreichende Medienkompetenzen für die Zukunft. Aber wie sieht es mit den Menschen über 50 aus? Wie sieht es mit den Menschen aus, die von Hartz-IV leben, wie sieht es bei den Menschen aus, die zuwandern?

Überhaupt die Zuwanderung. Wollten wir unsere Sozialsysteme (Rente, Gesundheit, Pflege) so erhalten, wie sie jetzt sind, müssten jährlich rund 400.000 Menschen netto zuwandern. Das gelingt zur Zeit auch ohne die Flüchtlinge. Das Statistische Bundesamt geht in seiner aktuellen, im Mai 2015 veröffentlichten Bevölkerungsvorausberechnung davon aus, dass von 2014 bis 2060 jährlich im Durchschnitt zwischen 130.000 und 230.000 Menschen mehr einwandern als auswandern. Dann würden wir 2060 zwischen 67 Millionen und 73 Millionen Einwohner/innen in Deutschland zählen. Ende 2013 waren es 80,8 Millionen. Deutschland schrumpft, die ländlichen Gebiete deutlich schneller und stärker als die städtischen Ballungszentren. Die Zuwanderung ist die einzige Möglichkeit, diesen Prozess zu minimieren. Zukunft gestaltet sich mithin nur noch durch Zuwanderung, da nur noch in wenigen Kommunen mehr Kinder geboren werden als Menschen sterben werden. Doch wo wird vor Ort eine aktive Integrationspolitik betrieben? Wo gibt es ein gemeinsam entwickeltes Werteverständnis und eine gemeinsame Vorstellung von Zukunft? In den Schulen sitzen rund 30 Prozent (und mehr) Kinder mit Migrationshintergrund, unter den Lehrern sind das gerade mal zwei Prozent. In Deutschland leben rund 20 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, in den Parlamenten sitzen vielleicht zwei Prozent. Was heißt das alles für unsere Zukunft? Interessiert das überhaupt jemanden?

Diese drei Beispiele zeigen, dass wir in einer sehr komplexen, vielfältigen und schnelllebigen Zeit leben, wo der Einzelne direkt nichts machen kann. Es können beliebig viele weitere Beispiele angefügt werden, so zum Beispiel, wie rollatorgerechtes, barrierefreies Wohnen aussehen kann.  Die hier zitierten Megatrends (Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, demografischer Wandel, Wanderung) weisen daraufhin, dass sie unsere Zukunft wesentlich gestalten, damit auch tiefgreifend verändern werden. Kandidaten, die darauf gar keine Antwort haben, sollten Sie nicht wählen.

Sicher: Es gibt nicht die Lösung. Aber wir müssen darüber ins Gespräch kommen, Lösungsideen austauschen, gemeinsam nachdenken und mögliche Antworten testen. Wenn die Spitze der Stadt bzw. des Kreises nicht den Mut hat, das zu tun, dann tut es niemand. Die Zukunft vertagen, reicht nicht mehr. Denn: die Zukunft ist nicht mehr die Verlängerung unserer Vergangenheit, auch wenn Sie so wählen.


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