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Tausende Lehrkräfte gesucht? – Das war seit Jahren absehbar!

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen sucht Lehrkräfte – Grundschullehrer*innen, Quereinsteiger*innen, Sonderpädagog*innen. Von den rund 160.000 Stellen in NRW sind etwa 5.000 nicht besetzt. Ähnliches können andere Bundesländer berichten. (Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Berufe, so zum Beispiel Erzieher*innen.)

Bereits im Jahre 2009 veröffentlichte der Bildungsforscher Klaus Klemm eine simple Rechnung auf der Grundlage der Zahlen von 2007/2008. Wir wissen, wie viele Menschen als Lehrende bundesweit tätig sind. Wir wissen, in welchem Alter sie sind. Wir wissen, wie viele davon wann in ihren Ruhestand eintreten. (2020 würden demnach noch 40,9 Prozent der 2007/2008 aktiven Lehrkräfte im Schuldienst sein.) Wir wissen also, wann wie viele Menschen als Ersatz benötigt werden. Wir wissen, wie viele Menschen in der Ausbildung sind (Lehramtsstudierende, Refrendar*innen). Wir wissen, welche Lücke in der Nachfolge auf uns zukommt. Wir wissen demnach, was zu tun ist. Das ist reine Mathematik und Statistik.

Vor rund zehn Jahren habe ich im Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Silvia Löhrmann, Bündnis 90/ Die Grünen, war Ministerin) einen Vortrag zum demografischen Wandel und den Auswirkungen auf die Schulen gehalten. Nach damaligem Wissen konnte man zum einen davon ausgehen, dass die Zahl der Schüler*innen rückläufig sein würde, aber auch die Zahl der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte. Nicht nur die Daten des in Nordrhein-Westfalen nicht unbekannten Bildungsforschers lagen vor. Die Situation der 2015 in sehr großer Zahl nach Deutschland kommenden geflüchteten Menschen war noch nicht absehbar, ebenso wenig die Corona-Pandemie mit den Notwendigkeiten des Distanz-Lernens)

Nun wissen wir, dass mit den vielen geflüchteten Menschen ab 2015 auch viele Kinder und Jugendliche ins Land kamen, die ein Recht auf Bildung haben. Wir wissen auch, dass nach der Finanzkrise 2008/2009 viele junge EU-Bürger*innen ins Land kamen, die nun in Deutschland bleiben, arbeiten und eine Familie gründen. Die Schülerzahlen haben sich also deutlich verändert, so dass viele neue Schulklassen plötzlich nötig wurden. Doch diese veränderte demografische Seite ändert nicht automatisch auch die andere demografische Seite – jedenfalls nicht kurzfristig.

Es ist und war klar, dass im Jahr 2031 der stärkste Geburtenjahrgang in Deutschland (1964 Geborene: 1.357.304) in den Ruhestand eintreten würde und dass der bisher geburtenschwächste Jahrgang (2009: 665.126) frühestens ins Referendariat einsteigen könnte. Fazit: Doppelt so viele Menschen werden den Schuldienst altersbedingt verlassen wie neue auf den Arbeitsmarkt drängen werden. Die Fakten lagen also um 2010 klar auf dem Tisch.

Wer also heute überrascht ist, dass so viele Lehrkräfte fehlen, der hätte besser mal früher nachgedacht und zur Verfügung stehende Fakten in einen Zusammenhang bringen und vorausschauend weiter entwickeln sollen. Doch das ist vergossene Milch. Blick nach vorn! Vorausschauendes Handeln und Denken sind gefragt. Ebenso die Entwicklung einer neuen Didaktik, neuer Formen des Lernens und der Betreuung. Wir brauchen dringend eine völlig neue Organisation des Schullebens und des Unterrichts.

Was mich nachdenklich stimmt und besorgt macht: noch immer leugnen handelnde Akteur*innen (parteienübergreifend) diese demografischen Zusammenhänge. Sie meinen, man müsse nur den Beruf einer Lehrkraft attraktiver machen, dann erledige sich das Problem von allein. Wird es nicht, denn Zukunft ist einfach nicht mehr eine optimierte Verlängerung der Vergangenheit.


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