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Warum es noch lange dauern sollte, bis Eltern ihre Söhne wieder Adolf nennen!

Adolf war – vor dem zweiten Weltkrieg – ein sehr populärer Jungenname. So wie Ben und Luis heute. Doch die, die diesen Namen tragen, sterben aus. Mit ihnen stirbt jene Generation, die noch erzählen kann von Krieg, Elend, Bombennächten, Flucht, Vertreibung, Schmerz, Hunger, Angst, Unterdrückung, Willkür, Unfreiheit. Von Menschen, die andere Menschen verfolgten, schlugen, töteten, weil sie anders waren – eine andere Religion ausübten, andere Kleidung trugen, andere Alltagsrituale pflegten.

Mein Vater hätte davon erzählen können, doch die Erinnerungen haben mit ihm geschwiegen. Ich kann es weitergeben, weil ich darüber gelesen habe, weil es Thema meiner Generation Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war, als der Holocaust als vierteilige US-Fernsehserie in den Wohnzimmern der Deutschen heftig nachwirkte, weil ich Scham empfand. Geben es meine Kinder auch weiter an meine Enkel?

2015 – 70 Jahre nach dem Kriegsende – erleben wir ständig besondere Momente, so zum Beispiel die bewegenden Erinnerungen an die Befreiung der verschiedenen Konzentrationslager auf europäischem Boden. Doch auch hier bleibt festzuhalten, dass die persönlichen Erlebnisberichte bald nicht mehr möglich sind, weil diese Menschen nicht mehr leben.

Doch wenn niemand mehr da ist, der erinnern und mahnen kann, der von Fehlern und Irrtümern berichten kann, der die Bedeutung des Friedens, der Toleranz und des nationale Grenzen überwindenden Miteinanders authentisch empfehlen kann: Was müssen wir tun, damit Menschen, die anders sind, nicht erneut Angst haben müssen, angepöbelt und verfolgt, geschlagen oder gar getötet zu werden?

Da ist es schön zu sehen, dass erstmals in Deutschland die 14. Europäische Makkabiade in Berlin durchgeführt wird, jene jüdischen Sportfestspiele, wo sich 2.300 Sportler/innen aus 36 europäischen Ländern treffen, um sich im Wettbewerb zu messen und miteinander Freude zu erleben. Das ist heute deutsche Normalität!

Wer sich hingegen diejenigen ansieht, die zum Beispiel vor Notunterkünften Flüchtlinge als „Dreck“ bezeichnen, die sogar die Helfer des ‚Deutschen Roten Kreuzes‘ anpöbeln, der fragt sich, ob das auch deutsche Normalität ist. Nicht wenige von denen sind sehr jung. Wie kann es sein, dass diese Menschen sich im Recht fühlen, so zu handeln? Würden diese Menschen ihre Söhne wieder Adolf nennen?

2013 wurden in Deutschland 682.069 Kinder geboren. Ein Drittel davon hat Migrationsgeschichten zu erzählen, rund 15 Prozent wachsen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften hinein, etwa 12 Prozent dieser Kinder haben mindestens einen Elternteil ohne Schulabschluss, rund zehn Prozent sind zu früh auf diese Welt gekommen. Diese Vielfalt der kindlichen Lebenswelten ist auch Normalität in Deutschland. Doch der demografische Wandel lehrt, dass wir alle diese Kinder brauchen, jedes einzelne Talent. Wenn wir in diese Kinder, ihre Talente und ihre Bildung nicht investieren, könnte es sein, dass bald wieder mehr Kinder Adolf heißen?

In dem Buch „Das Attentat“ von Harry Mulisch, wird gefragt, wann denn die Erinnerungen an die Nazi-Herrschaft, die Konzentrationslager und den Holocaust endlich Geschichte seien. Die Antwort: Wenn die Eltern ihre Söhne wieder Adolf nennen.

 


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