Es gibt nur wenige Bücher, die es schaffen, tief zu berühren, zu bereichern, aber auch zu beschämen. Das Buch „Noah. Von einem, der überlebte“, verfasst von Takis Würger, gehört dazu. Und ich empfehle es jedem. Uneingeschränkt.
Es ist die Geschichte von Noah Klieger, einem 1925 in Deutschland geborenen Menschen, der 17-jährig in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurde. Sein Verbrechen: Er war Jude. Er überlebte, wurde im Alter von 20 Jahren befreit: Haut und Knochen, Geschwüre und Eiter, dem Tod und Josef Mengele immer wieder von der Schippe gesprungen.
Der 1985 geborene Journalist und Publizist Takis Würger erzählt die Geschichte des 93-Jährigen Noah Klieger auf 150 Seiten schnörkellos, ohne moralischen Zeigefinger, nahezu emotionsfrei. Das macht das Buch aus. Es beschreibt einfach, wie es war.
Ein Text-Beispiel: „Der Zug rollte westwärts. Neben Noah erfror ein Mensch und fiel um. Dadurch war etwas mehr Platz. Der Zug rollte durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag, Menschen erfroren, Menschen wurden zertreten, Noah dachte, er würde verdursten, durch die Nacht, durch den Tag, durch die Nacht. Der Zug hielt. Die Schiebetür ging auf. ‚Leichen raus‘, brüllte ein SS-Mann.“
Es ist notwendig, dass diese Geschichte erzählt wird, von jedem, der sie noch erzählen kann. Es ist dieses Wissen, diese Erfahrung, dieses Erleben, was sonst wegstirbt und für immer verloren geht. Es ist wichtig, damit wir, die wir uns das Erzählte kaum vorstellen können, für die es in diesem Buch manchmal unerträglich ist und für die solch ein Verhalten nicht zu begreifen ist, verstehen, dass es an uns liegt, dass so etwas nicht wieder vorkommt.
Nicht jeder Mensch ist ein Held. Auch Noah nicht. Er hat es erlebt – und überlebt. Zum Helden wurde er später, als er weltweit in Schulklassen erzählte, wie es war. Auch in Deutschland. Sein Publikum, meist jugendliche Menschen, hörten gebannt zu. Denn sie spürten die Authentizität. Noah Klieger war keiner, der Groll hegte, sondern der wollte, dass so etwas nie wieder irgendjemandem widerfuhr.
2018 ist Noah Klieger in Israel, wohin er als 22-Jähriger ausgewandert war, verstorben, kurz nachdem diese Geschichte erzählt werden konnte.
Sein Vermächtnis lautet: Wehret den Anfängen. Denn dass, was ihm widerfahren ist, konnte nur geschehen, weil Menschen anderen Menschen ihr Menschsein absprachen. Nur weil sie anders waren, anders glaubten, anders lebten. Dabei lohnt es sich, die Vielfalt der Menschen, die Vielfalt der Generationen, der Kulturen, der Religionen, der Geschlechter, der Werte, der Talente, der Milieus, das Anderssein aller zu achten. Denn wir alle sind jeweils anders – je nach dem Blickwinkel des Anderen.
Das Gegengift zu dieser menschenverachtenden mörderischen Ideologie ist die inklusive Gesellschaft, eine Gesellschaft, die einfach Platz für alle hat. Dieses Buch legt ein Fundament, sich dafür einzusetzen.