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Die Frage lautet weniger, ob wir sterben, sondern wie wir sterben wollen!

In diesen Tagen wird wieder einmal vermehrt über die ärztliche Assistenz bei der Sterbehilfe in Deutschland gesprochen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, lehnt dies ab, denn Ärzte seien keine "Techniker des Todes, sondern Helfer zum Leben". Ralf Jox, Facharzt für Neurologie und Palliativmediziner am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität München verweist auf "Extremfälle, die wir uns teilweise gar nicht vorstellen können", wo es straflose Auswege geben müsse und wo auch die Palliativmedizin keine Antworten geben könne.

Die Realität kennt längst Wege, die dieser Diskussion weit voraus sind. So gibt es Nachbarländer von Deutschland, in denen die Assistenz durch Ärzte bei Erwachsenen, aber auch bei Kindern und Jugendlichen gesetzlich geregelt ist (zum Beispiel Belgien). Prominente scheiden freiwillig aus dem Leben, weil sie Ängste vor einer Erkrankung haben, die subjektiv, aber auch objektiv kein selbst bestimmtes Leben mehr ermöglicht. Der Chefarzt der Rettungsstelle eines Berliner Krankenhauses, Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin und Autor des Buches "Wie wollen wir sterben?", Michael di Ridder, kämpft für "eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochmedizin".

Welche Fakten sprechen nun für eine Regelung:

Erstens: Wir werden alle deutlich länger leben, älter und viele von uns werden in den letzten Lebensjahren pflegebedürftig und dement. Schon heute ist jeder zweite Mensch über 90 Jahre stationär pflegebedürftig.

Zweitens: Der Anteil der Menschen, die schwer erkranken und ihren Lebensalltag mit den Folgen dieser Erkrankung - auch mit Schmerzen - bewältigen müssen, wird ansteigen, so wie der Anteil der Menschen über 65 Jahre deutlich ansteigen wird.

Drittens: Der Fortschritt der Medizin wird stetig anwachsen und immer mehr Möglichkeiten haben, uns am Leben zu erhalten - ohne die Frage immer zufrieden zu beantworten, ob das ein würdiges sowie selbst bestimmtes Leben sein wird.

Viertens: Dieser Fortschritt betrifft nicht nur Menschen am Ende des Lebens, sondern auch zu Beginn des Lebens. Denn immer mehr Kinder werden leben, trotz erheblicher organischer und körperlicher sowie geistiger Defizite. Schon heute kommen rund zehn Prozent der rund 670.000 jährlichen Geburten zu früh zur Welt. Studien zufolge, werden rund 40 Prozent der Frühgeburten ihr Leben mit erheblichen Folgen zu bewältigen haben.

Fünftens: Das durchschnittliche Erstgebärendenalter wird weiter ansteigen. Heute liegt es bei etwa 30 Jahren. Experten gehen davon aus, dass das Alter einer Mutter bei ihrer ersten Niederkunft in den nächsten 15 Jahren auf 35 Jahre durchschnittlich ansteigen wird. Damit verbunden sind auch höhere Risiken für Schwangerschaft und Geburt, damit für die Gesundheit des Kindes.

Sechstens: Die Finanzierung des Gesundheitswesens wird nicht nur auf dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts neu zu gestalten sein. Denn immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte werden immer mehr ältere Menschen, aber auch Kinder und Jugendliche gesundheitlich mitversorgen müssen.  Das funktioniert nur, wenn die Krankenkassenbeiträge steigen oder Leistungen, die von den Kassen getragen werden, verringert werden oder ein Mix aus beiden Aspekten gefunden wird.

Siebtens: Immer mehr Menschen können im Alter auf keine familiären Beziehungen zurückgreifen, da sie kinderlos sind und auch keine Geschwister oder Angehörige haben, die sich kümmern könnten.

Fazit: Wir werden ethische Grundsatzfragen auf dem Hintergrund des längeren Lebens und der Verschiebung der Bevölkerungsarchitektur diskutieren müssen. Die Frage der Sterbehilfe gehört dazu. Die Menschen werden ansonsten ihre eigenen Antworten finden, jedenfalls die, die es sich leisten können.

 


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