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Deutschland schrumpft – Kirchen als Experimentierlabor?!

Deutschland wird 2060 etwa 8 bis 13 Millionen weniger Einwohner/innen zählen als heute - eine stetige Zuwanderung aus dem Ausland ist dabei bereits unterstellt! Das ist für die meisten Menschen eher abstrakt, denn es wird ja nicht so sein, dass zum Beispiel Bayern dann nicht mehr besiedelt ist. Es geschieht flächendeckend, im ländlichen Raum stärker als in städtischen Ballungsgebieten. Alle Regionen sind davon betroffen. Doch was heißt Schrumpfung?

Die christlichen Kirchen könnten sich hier als Experimentierlabor anbieten. Schließlich traten 2014 fast 218.000 Menschen aus der katholischen Kirche aus (Höchststand), bei der evangelischen Kirche waren es sogar 410.000 Menschen, die der Kirche den Rücken kehrten. Sicher: noch immer zählen wir in Deutschland rund 24 Millionen Katholiken und 22,6 Millionen Protestanten. Doch es waren mal jeweils 30 Millionen in beiden Kirchen. Konsequenz: Die kirchliche Infrastruktur muss sich den geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Schließlich zahlten allein 2014 über 600.000 Menschen keine Kirchensteuer mehr.

Wer kommt für die kirchlichen Gebäudekosten auf? Immer mehr Kirchengebäude werden entwidmet und anderweitig genutzt. Wer sorgt für die älter werdenden Priester und Pfarrer/innen und zahlt deren Renten? Überhaupt das Personal: Es wird immer schwieriger, geeignetes und christlich konfessionell gebundenes Personal zu finden. Allein deshalb dürfen nun auch geschiedene und wieder verheiratete Menschen Krankenpflege in christlichen Häusern leisten.

Wie kann die soziale und karitative Arbeit der Kirchen noch bezahlt werden? Wer engagiert sich ehrenamtlich, kümmert sich um das Miteinander, sorgt für Besuchsdienste und Jugendfreizeiten vor Ort, macht Kirche attraktiv und lebendig? Wie handhaben wir es mit kirchlichen Kindertagesstätten, kirchlichen Krankenhäusern sowie zahlreichen weiteren Angeboten, zum Beispiel in der Erwachsenenbildung. Da vor allem jüngere Menschen den Kirchen adieu sagen, verbleiben immer mehr Ältere. Auch die haben Anspruch auf die kirchlichen Sakramente (= Dienstleistungen), auf Seelsorge und gemeinschaftliches Leben in der Pfarrei. Doch wer macht das? Denn die Älteren zahlen keine Steuern, werfen höchstens bei den gelegentlichen Gottesdiensten, die die Generation Ü60 dominiert, etwas Kleingeld in den Klingelbeutel.

Schließlich sind bei den Katholiken immer weniger bereit, Priester zu werden. Das führt bereits zu einer enormen Zuwanderung aus dem Ausland. Zumal nicht wenige Gottesdienstbesucher selbst Migrationshintergrund haben, findet das auch Zuspruch. Bei den Protestanten haben wir eher zu viele Pfarrer/innen, so dass der sozialverträgliche Stellenabbau das Thema ist. Das Steueraufkommen wird ja eher weniger.

Gleichzeitig verändern sich die Kultur des Engagements, die Kultur des religiösen Lebens, die Sterbekultur. Wer zu Fronleichnam den demonstrativen Zug der katholischen Gläubigen in der Öffentlichkeit beobachtet, der wird feststellen, dass die Mehrheit über 50 Jahre alt ist, eine graue Haarfarbe hat und mit brüchigen Stimmen die Psalmen singt. Wie lange wird Fronleichnam so noch gefeiert werden? Immer mehr Menschen werden sich fragen, wer ihre Gräber pflegen sollte? Der Friedhof von heute wird leerer, obwohl mehr Menschen sterben.

Sicher: Menschen finden andere Religionen, denen sie sich zugehörig fühlen. Die Religionen und das religiöse Leben in Deutschland werden insgesamt vielfältiger. Das ändert aber nichts an der Schrumpfung der christlichen Kirchen. Wie sieht Seelsorge in einer älter werdenden schrumpfenden Gesellschaft aus? Wie diskutieren wir ethische Prozesse am Anfang des Lebens, wenn die Medizin es schafft, Kinder immer früher aus dem Mutterleib zu holen, und am Ende des Lebens, wenn die Medizin es schafft, uns länger am Leben zu halten, obwohl es vielleicht kein Leben mehr ist? Wer erhebt die orientierende Stimme der Moral, des Anstands, des ethisch Vertretbaren?

Das, was die Kirchen schon heute und von Jahr zu Jahr massiver zu gestalten haben, wird auf uns als Deutschland auch zukommen. Insofern sind die Kirchen ein Experimentierlabor.

Doch den Kirchen, aber auch unserer gesamten Gesellschaft fehlen Bilder und Vorstellungen, wie eine solche Zukunft, die längst nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit ist, aussehen könnte. Wir müssen den Mut haben, uns zu verändern und dabei die eigene Veränderung nicht ausschließen. Wir müssen den Mut haben, Zukunft, Kirche, unsere Gesellschaft neu zu denken.  Und wer den Mut hat, sollte gehört werden - auch von uns.


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