Andrea Nahles, die SPD und verloren gegangene Gewissheiten

Andrea Nahles, die SPD und verloren gegangene Gewissheiten

Andrea Nahles, seit gut einem Jahr die Vorsitzende der SPD, tritt von allen Ämtern mit sofortiger Wirkung zurück. Grund: Kritik an Ihrer Amtsführung in Partei und Fraktion nach den enormen Verlusten bei den letzten Wahlen (Bremen, Europa). Grund aber auch: die Art und Weise der Kritik an ihr, die ich keinem Menschen wünsche und mir auch nicht zumuten würde.

Und jetzt? Welches Problem der SPD wird durch diesen Rücktritt gelöst? Was wird sich nun in der Politik ändern, was mit Andrea Nahles nicht möglich war?

Nur zur Information: Andrea Nahles war zwar die erste Frau im Amt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden bei der SPD, aber sie war auch seit 1990 die 15. Person an der Parteispitze! Daraus lässt sich folgern, dass der Wechsel der Personalspitze kein Garant für Erfolg ist – und war. Viel mehr lässt sich daraus folgern, dass die Partei hilf- und ratlos ist, weil sie spürt, dass sie für die anstehenden Herausforderungen mit Instrumenten der Vergangenheit antritt und verliert. Aber es braucht eine Schuldige, der man alles anhängt, weil man sich ja dann selbst nicht zu ändern braucht!

Das wiederum ist auch kein Wunder, denn die Hälfte der SPD-Mitglieder ist über 60 Jahre alt und hat „alte Bilder“ im Kopf, die mit den aktuellen Herausforderungen wenig zu tun haben: Digitalisierung, Klimawandel, Demografischer Wandel, Wertewandel, Migration. Und das Entscheidende: diese Herausforderungen wirken auch noch miteinander und untereinander. Die jahr(zehnt)elange Verdrängung funktioniert nicht mehr. Rente mit 63 ist eben keine Antwort auf eine immer älter werdende Gesellschaft und immer weniger Kindern – zum Beispiel. Und der Klimawandel oder die Digitalisierung oder die weltweiten Migrationsbewegungen sind auch nicht gestern erst entstanden – man hat das ignoriert, den Menschen in der Partei und auch außerhalb der Partei gesagt, dass die Zukunft die Verlängerung der Vergangenheit sein kann und „weiter so!“. Tja, und das funktioniert nicht mehr. Das muss man erst wahrnehmen und begreifen wollen – auch in der SPD.

Da tröstet es wenig, wenn auch die CDU die gleichen Herausforderungen zu bewältigen hat, die sie ebenfalls hilf- und ratlos zu begreifen versucht, und wenn angesichts der Erfolglosigkeit an den Wahlurnen die Kritik am Spitzenpersonal (hier: AKK) herhalten muss.

Doch es stehen grundlegende Veränderungen in der Politikgestaltung an, die auch mit Zumutungen zu tun haben werden – und die Menschen im Land sind darauf nicht vorbereitet, weil die politischen Mandatsträger/innen dies nicht verständlich kommunizieren können (oder wollen!). Was die Menschen wiederum dazu führt, bei den Wahlen andere Entscheidungen zu treffen. Was die SPD dann wundert und nicht verstehen kann.

Hinzu kommt die schäbige, anstandslose und von Lust am Niedermachen und Mäkeln geprägte Kritik, die auch nicht davor scheut, persönlich zu werden. Wer will sich denn ein solches Amt künftig noch zumuten? Es kommt die Zeit, wo die Menschen froh sein werden, wenn es eine/r macht. Im Moment hoffen alle auf die perfekte eierlegende Wollmilchsau. Die aber gibt es weder bei der SPD, noch bei der CDU, noch bei irgendeiner anderen Partei. Es sind überall nur Menschen, die Fehler machen (dürfen), aber die auch daraus lernen können sollten. Und das wird nicht mehr gegönnt.

Was wir in Deutschland brauchen ist ein schonungsloser Blick auf die Gesellschaft von 2030. Die kennen wir nämlich schon rein demografisch. Wir wissen auch, was der Klimawandel mit sich bringen wird. Wir kennen die weltweiten Migrationsströme und deren Ursachen (übrigens der Klimawandel wird sehr nachhaltig dazu beitragen) und wir wissen auch, dass die Digitalisierung die Welt, wie wir sie heute kennen, nachhaltig verändern wird. Und für diese Gesellschaft müssen wir eine Politik machen. Das hat die SPD bisher versäumt – aber nicht nur sie. Warum? Weil sie nach Veränderungen verlangt und eine älter werdende Gesellschaft alles Verändernde scheut? Und Parteien scheuen, was die Mehrheit der Wählenden will. Dass das auch anders geht, haben die Europawahlen bewiesen.

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