Deutsch-Türken der 3. Generation fordern Todesstrafe – Integration gelungen?

Deutsch-Türken der 3. Generation fordern Todesstrafe – Integration gelungen?

40.000 Menschen türkischer Herkunft bzw. Abstammung demonstrierten Ende Juli 2016 in Köln gegen den gescheiterten Militärputsch in der Türkei, für Präsident Recep Tayyip Erdogan und auch für die Wiedereinführung der Todesstrafe – in der Türkei. Diese demonstrierenden Menschen leben zum großen Teil seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland, sind hier geboren, haben deutsche Schulabschlüsse erworben, sprechen meist gut Deutsch und: fühlen sich türkisch. Sie nutzen wie selbstverständlich demokratische, in Deutschland verbriefte Grundrechte, um einem Menschen zuzujubeln, der sie in der Türkei gerade drastisch einschränkt, teilweise sogar abschafft.

Was sagt uns das über die Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte? Irgendetwas scheint völlig daneben gelaufen zu sein. Doch was?

Ein Pass allein macht noch keinen Deutschen. Heimat ist nicht nur ein Dokument, sondern ein Gefühl. Das Gefühl zu Hause zu sein, willkommen und anerkannt zu sein, sich wohl zu fühlen. Viele Menschen türkischer Herkunft sind deutsch und „ticken“ deutsch. In Istanbul zum Beispiel treffen sich Deutsch-Türken, die in Deutschland groß geworden sind, in Deutschlang (gut) ausgebildet worden sind, aber hier keine Arbeit fanden. Ihre Zweisprachigkeit erlaubt Ihnen, zum Beispiel in der Türkei zu leben und zu arbeiten. Doch auch dort sind sie nicht richtig zu Hause, da sie für viele Türken deutsch sind. Migranten – welcher Herkunft auch immer – sind oft Wanderer zwischen den Welten. Das sollten wir uns bewusstmachen.

Was ist deutsch? Was ist türkisch? Was ist russisch?

Erinnern Sie sich, dass das russische Fernsehen vor einigen Monaten berichtete, dass Männer fremdländischen Aussehens in Berlin ein 13jähriges russisches Mädchen vergewaltigt haben sollen? Daraufhin sind etliche russlanddeutsche Menschen auf die Straßen gegangen, um zu demonstrieren. Dass diese Nachricht nicht stimmte, auch wenn der russische Außenminister Lawrow das behauptete, drang erst einmal nicht durch. Ist das mal irgendwo aufgearbeitet worden?

Wir erleben: Migranten halten Verbindung zur Heimat über das Fernsehen. Wenn dann noch die Medien staatspolitisch gelenkt („gleichgeschaltet“) sind, gleichzeitig kein Abgleich mit anderen, zum Beispiel deutschen Medien, erfolgt, dann sind das schnell leicht lenkbare und emotionalisierbare Massen. Doch es braucht mehr als nur Fernsehen. Diese Menschen müssen das Gefühl haben, in der neuen Heimat nicht wirklich angenommen zu sein, damit nationalistische Emotionen, Vorurteile und falsche Behauptungen in der Wahrnehmung zu Fakten werden können.

Viele Migranten haben das Gefühl im Grunde nicht wirklich gewollt zu sein und von den Deutschen eher nur „geduldet“ zu werden. Unser Ausländerrecht ist nicht umsonst Polizei- und Gefahrabwehrrecht – bis heute! So erzählen mir zum Beispiel russlanddeutsche Menschen, die in ihrer Heimat als Arzt eine Klinik geleitet hatten, dass ihre Qualifikationen hier nicht anerkannt wurden. Sie hätten noch einmal studieren müssen! Sie hätten sich die Willkommenskultur, die manche Deutsche den Flüchtlingen heute (2015) entgegenbringen, für sich vor 25 Jahren auch gewünscht. Da schwingt nicht selten Neid und Wehmut mit.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich fordere jeden Erdogan-Anhänger auf, die türkische Gesellschaft in der Türkei aktiv mitzugestalten!

Doch mein Blick geht nach vorn. Wer Integration will, sollte ehrlich Fehler der Vergangenheit korrigieren. Integration erfolgt nicht nebenbei. Also: Unterhält ihre Kommune seit Jahr(zehnt)en eine regelmäßige Dialogstruktur mit Migrantenorganisationen? Welche/r Bürgermeister/in besucht neben Pfarrfesten auch Moscheeveranstaltungen? Wo werden Migrantenorganisationen selbstverständlich zu den Neujahrsempfängen oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen? Wo sind Migranten in den Stadträten auch repräsentiert? Verfügt Ihre Kommune über ein Integrationskonzept? Wird es auch umgesetzt?

Und weiter: Warum ist es seit Jahrzehnten so, dass mindestens doppelt so viele ausländische Menschen arbeitslos sind oder/und von Hartz IV (früher Sozialhilfe) leben? Warum ist es seit Jahrzehnten so, dass ausländische Kinder überrepräsentativ häufig die Hauptschulen besuchen und keinen Schulabschluss machen? Warum fangen doppelt so viele deutsche Jugendliche nach der Schulzeit eine Ausbildung an als ausländische Jugendliche? Intelligenz wird weder von Gott, noch von Allah nach ethnischen Aspekten verteilt. Das Gehirn als Hardware ist bei der Geburt in der Regel gleich, egal wo ein Mensch geboren wird. Es kann also stets lernen!

Fakt ist: Ohne Zuwanderung wird Deutschland seine enormen demografischen Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können. Das setzt aber eine gute, gelingende Integration voraus. Die Demonstration der Türken für Präsident Erdogan und die damit einhergehende spaltende Diskussion in den türkischen Gemeinden (Pro und Contra Erdogan) belegt, dass die Integrationspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte genug Anlässe bietet, es künftig besser zu machen. Denn die Integrationspolitik wird eine Schlüsselherausforderung unserer nahen Zukunft sein. Der Blick geht nach vorn: Wir können aus Fehlern lernen, um unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten. Wir müssen es nur wollen. Auf Erdogan schimpfen reicht nicht.

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