Die Kreisverwaltung des Rhein-Erft-Kreises stellt in einem Pflegebericht nüchtern, aber gleichwohl überrascht fest, dass die Zahl der über 80 Jahre alten Bewohner/innen bis zum Jahr 2040 auf mehr als 44.000 ansteigen wird. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde von aktuell rund 15.000 auf mehr als 23.000 Menschen ansteigen. Folge für die Kreisverwaltung: „Wir brauchen in den kommenden Jahren einen starken Ausbau der pflegerischen Leistungen und der zugehörigen Infrastruktur.“
Nun frage ich mich: Wie kann man davon überrascht sein? Denn die Menschen, die 2040 80 Jahre alt werden, sind 1960 geboren. Und wir wissen mindestens seit diesem Jahr, dass diese Menschen da sind und irgendwann einmal 80 Jahre alt werden können. Und die Menschen, die 2040 90 Jahre alt sind, erblickten 1950 das Licht der Welt. Auch das war bekannt. Nur wohl nicht allen.
Die demografische Entwicklung einer Bevölkerung ist ein Uhrwerk. Wir wissen, wie viele Menschen geboren werden. Und wir wissen, mit welcher Lebenserwartung diese Menschen zu rechnen haben. Täglich gewinnen wir circa sechs Stunden an Lebenserwartung hinzu!
Wir wissen zudem, dass Menschen über 80 zu einem guten Drittel pflegebedürftig sind und Menschen über 90 nahezu zur Hälfte der Pflege bedürfen. Wir wissen auch, dass zurzeit rund 73 Prozent der Betroffenen im familiären Kreis gepflegt werden. Wir wissen auch, dass diese Zahlen der familiären Pflege nicht so bleiben, denn in den letzten 50 Jahren haben rund 25 Prozent der Menschen keine Kinder gezeugt, die theoretisch einmal pflegen könnten. Und wir wissen auch, dass immer mehr Kinder weiter als 200 Kilometer von ihren Eltern entfernt wohnen.
Wir wissen zudem, dass nur drei Prozent der Wohnungen heute alternsgerecht und barrierearm sind (97 Prozent nicht!) und wir wissen, dass die Menschen alle den Traum hegen, in ihren eigenen vier Wänden alt zu werden. Wir wissen aber auch, dass zurzeit nur rund zehn Prozent der Menschen zuhause versterben, die große Masse in Altenheimen und Krankenhäusern. Wir wissen so viel und sind dann überrascht?
Dass dabei die Zukunft nicht die Verlängerung der Vergangenheit ist, macht ein Blick auf eine Zahl der Bundesagentur für Arbeit deutlich, die im Dezember 2017 veröffentlicht worden ist: Wenn eine Stelle im Altenpflegebereich neu zu besetzen ist, dauerte es im Durchschnitt 171 Tage (bundesweit), bis diese Stelle neu besetzt werden kann. Der Durchschnitt über alle Berufe hinweg: 102 Tage. Auch das wissen wir!
Und jetzt meinen Menschen in Politik und Verwaltung, der Beruf müsse nur etwas besser bezahlt und attraktiver in der Öffentlichkeit dargestellt werden, dann fluppe das schon. Die künftige Regierung verspricht sogar ein Sofortprogramm Pflege: 8.000 zusätzliche Stellen. Nur: Woher kommen die Menschen, die diese Stellen besetzen sollen?
Die Wahrheit ist: Sie alle haben den demografischen Wandel nicht begriffen! Die Menschen, die wir in der Pflege brauchen, sind nicht mehr geboren. Denn die Geburtenzahlen haben sich seit 1964 nahezu halbiert. Und wenn nun alle Altenpflegende werden wollten, wer wird dann Polizist, Richter, Gefängniswärter, Florist oder Erziehender bzw. Lehrender, Installateur, Friseur … ?
Und was sagt die Kreisverwaltung des Rhein-Erft-Kreises: Leider habe sie auf alle diese Entwicklungen keinen Einfluss. Man sei nur verpflichtet, alle zwei Jahre eine aktuelle Planung vorzulegen. Konsequenz: die Pflegekatastrophe müssen andere lösen.
Dabei müssten alle Akteure dringend an einen Tisch und gemeinsam Ideen entwickeln, Strategien entwerfen, Prioritäten vereinbaren. Wir müssen neu denken, Pflege anders gestalten und organisieren. Und das ist und bleibt Aufgabe von Politik und Verwaltung und Gesellschaft.