Ein “inklusiver Spaziergang” durch meine Heimatstadt – Bergheim ist noch keine Stadt für Alle!

Ein “inklusiver Spaziergang” durch meine Heimatstadt – Bergheim ist noch keine Stadt für Alle!

Wer das gesellschaftspolitische Ziel verfolgt, dass eine Stadt Heimat für Alle sein soll, also für jung und alt, für Mann und Frau, für dick und dünn, für groß und klein, für Menschen mit und ohne Behinderungen, für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, für Menschen in allen sozialen Lebenslagen, für Menschen, die dement sind und für Menschen, die bildungsfern sind, der verfolgt ein sehr ehrgeiziges Ziel. Doch genau dies ist das Ziel der Konvention der Vereinten Nationen für die Rechte der Menschen mit Behinderungen.

Darin heißt es in Artikel 6, dass es das Ziel sei, allen Menschen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, so früh wie möglich und so lang wie gewünscht. Und dies unabhängig vom Alter, von der sozialen Lebenssituation, von der ethnischen Herkunft, vom Geschlecht und von individuellen Fähigkeiten. In meiner Heimatstadt Bergheim (westlich von Köln gelegen) haben sich Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zu einem „Initiativkreis Inklusion Bergheim (IKIB)“ zusammengeschlossen, die genau dies für ihre Stadt verfolgen. Ihr Projekt: „inklusive Stadtspaziergänge“ durch alle Stadtteile. Ihr Ziel: Menschen für die Idee, eine Stadt für alle zu gestalten, zu sensibilisieren. Dies wird umso bedeutender, weil letztlich jeder irgendwann altersbedingt davon betroffen sein könnte.

So machen sich also Menschen auf den Weg, die Rollstuhl fahren, die einen Kinderwagen schieben, die sich mit einem Rollator fortbewegen, die die deutsche Sprache nur bedingt beherrschen, mit denen, die davon zurzeit nicht betroffen sind. Sie entdecken eine Stadt, die sich bemüht, aber es nicht konzeptionell durchdenkt. Eine Stadt, die sporadisch handelt, aber nicht mit Herz und Verstand dabei ist, eine Stadt, die noch einen weiten Weg bis zur Inklusion zu gehen hat. Doch das, so ein Mitglied, sei nicht das Tragische. Tragisch, darin sind sich die Mitglieder des Initiativkreises einig, werde es erst, wenn sich nichts ändert, obwohl man darum weiß.

Beispiel Bahnhof in Bergheim: Dort werden Rollstuhlfahrer mit entsprechenden Schildern ermutigt, einen für sie geeigneten Weg zum Bahnsteig zu fahren. Dieser Weg ist gut ausgeschildert und mit einer befahrbaren Rampe versehen. Doch am Bahnsteig angekommen, stellt der Rollstuhlfahrer fest, dass er nicht in den Zug einsteigen kann, weil der Zug das nicht möglich macht. Das betrifft auch Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind. Sicher: Theoretisch könnten andere Fahrgäste helfen. Doch helfen sie auch, wenn man den Zug wieder verlassen will?

Beispiel Ampel: Dort werden Sehbehinderte mit entsprechenden taktilen Bodenplatten zu einer Ampelanlage geführt. An dieser Ampel befindet sich auch ein Druckknopf, mit dem der Fußgänger signalisiert, dass er die Straße sicher überqueren will. Doch die Ampel kennt keinen akustischen Ton. Der sehbehinderte / blinde Mensch stünde noch immer da, wenn nicht zwischenzeitlich ein anderer Mensch für eine Unterstützung gesorgt hätte, zumal die taktilen Bodenplatten auf der anderen Straßenseite weiterführen. Nun könnte das Signal ja defekt sein. Jedenfalls dachten das die „inklusiven Spaziergänger“. Ein zufällig anwesender Elektriker, der den Schaltkasten der Ampel wartete, entgegnete jedoch, dass ein akustisches Signal gar nicht vorgesehen sei.

Beispiel Arztpraxen: Es ist erstaunlich, wie schlecht die meisten Arztpraxen auf ihre älter werdende Kundschaft vorbereitet sind. Schwere Eingangstüren, die von Menschen, die gleichzeitig einen Rollator schieben, kaum zu öffnen sind, Aufzüge, die nicht direkt vor die Praxistür, sondern auf Zwischenetagen, aufgehen, Stufen und andere Barrieren, die einen Praxisbesuch erschweren: das ist fast normal. Auf Anfragen entgegnen freundliche Arzthelferinnen gern ihre Bereitschaft, den Menschen samt Rollstuhl in die Praxis zu tragen, doch zeigt der Selbstversuch, dass dies weltfremd ist.

Natürlich gibt es auch positive Beispiele: So ist bei einer Volksbank-Filiale ein vorbildlicher separater Zugang für Menschen, die Rollstuhl fahren oder einen Rollator benötigen, geschaffen worden. Der Hinweis der „inklusiven Spaziergänger“ auf eine noch anzubringende Hinweistafel am Haupteingang wurde dankbar aufgenommen. Auch das Schild „Behinderte benutzen den Hintereingang“ in einem Bergheimer Ladenlokal ist auf persönliche (freundliche) Ansprache geändert worden: „Barrierefreier Zugang auf der Rückseite“ heißt es nun.

Meistens ist es eher Unachtsamkeit oder ein Nichtbedenken, dass bei einer konkreten Ansprache schnell behoben werden kann. Selten trifft man auf Unfreundlichkeit oder gar Ablehnung. Gleichwohl, da sind sich die „inklusiven Spaziergänger“ einig: Es muss noch viel getan werden. Allein deshalb werden diese Spaziergänge weitergehen. Das sei keine Kostenfrage, sondern eine Haltungsfrage: Wollen wir eine Stadt für Alle sein?

Right Menu Icon