Wir leben in krisenbeschleunigten Zeiten der nachhaltigen Veränderung. Schon dieser Satz ist in seiner Grundaussage sehr komplex. Er besagt im Grunde, dass immer mehr Menschen das Gefühl haben, ohnmächtig von einer Krise in die nächste zu schlittern und dass dabei alte Gewohnheiten und Gewissheiten an Bedeutung und Wirksamkeit für die Lösung anstehender Herausforderungen verlieren. Warum ist das so?
Es sind fünf grundlegende gesellschaftsstrukturelle, technologische und ökologische Veränderungen, die wir in der Geschichte der Menschheit noch nicht zu gestalten hatten und für die niemand ein Rezept in der Schublade hat. Doch wer gibt das schon gern zu?
Zu nennen ist der demografische Wandel: Noch nie lebten mehr Menschen über 65 Jahre als unter 20 Jahre in Deutschland. Das verändert das Zusammenleben und -wirken grundlegend. Der lösungsorientierte Grundsatz der Zukunft lautet: Es gilt, heute Rücksicht auf nachwachsende Generationen zu nehmen, um später von ihnen Nachsicht erwarten zu dürfen.
Hinzu kommt die Digitalisierung: Noch nie erlebten wir mit der künstlichen Intelligenz einen technologischen Fortschritt, der das Potenzial hat, auch ohne den Menschen klarzukommen. Der lösungsorientierte Grundsatz muss lauten: Die Technik ist für die Menschheit da und nicht umgekehrt, so zum Beispiel für einen einzelnen.
Schließlich ist unsere Gesellschaft noch nie so vielfältig, so divers gewesen wie heute. Alle wollen gesehen und in ihrer Individualität berücksichtigt werden. Die lösungsorientierte grundsätzliche Herausforderung besteht in der steten Bereitschaft zum Kompromiss.
Zunehmend dramatisch wirkt der Klimawandel. Die damit einhergehende Dekarbonisierung wird unseren Lebensstil nachhaltig beeinflussen, zumal Produktion und Konsum künftig CO2-frei zu gestalten sein werden. Der lösungsorientierte Grundsatz lautet, den Enkeln eine lebenswerte Welt zu hinterlassen und dafür heute auf Liebgewordenes zu verzichten.
Selbst die Demokratie, die wir als selbstverständlich ansehen, steht unter Druck und Gefahr. Freiheit und das Recht, die eigene Regierung abzuwählen, müssen stets neu erkämpft werden. Dafür ist politisches Engagement nötig.
Diese fünf D’s der Zukunft (Demografie, Digitalisierung, Diversität, Dekarbonisierung und Demokratie) beeinflussen einander und halten auch Lösungsoptionen füreinander bereit. Sie werden zudem in unserem Alltag sicht- und spürbarer.
Doch immer mehr Menschen ziehen sich zurück, klinken sich aus, verstehen nicht mehr, was geschieht und wollen auch nicht wahrhaben, welche Veränderungen von ihnen im Alltag abverlangt werden. Gerade autoritäre (ob rechts oder links) Parteien versprechen, es wie früher zu machen, als alles noch so einfach war. Früher, so der Glaube, war einfach alles viel besser. Wählt uns, und das Früher kommt zurück.
Doch das funktioniert nicht mehr. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, es verändert sich zu viel gleichzeitig und nachhaltig. Fakten können zudem nicht ideologisch ausgehebelt oder auf Parteitagen abgewählt werden. Dass diese Parteien dennoch Zulauf haben, liegt daran, dass zunehmend mehr Menschen keine Komplexität aushalten. Dazu gehören in erster Linie gekränkte und erfolglose Menschen. Es sind Menschen, die keine Diskussionen mögen, sondern Einigkeit wünschen. Vielfalt, zum Beispiel in der Geschlechterfrage, begegnen sie mit empörter Fassungslosigkeit. Sie verlangen nach einer politischen Sprache, die Gewissheit und Sicherheit verspricht. Diese Sprache haben die etablierten Parteien den populistischen Strömungen von rechts und links überlassen. Sie haben versäumt zu erklären. Sie haben den Mut nicht aufgebracht, diese Veränderungen zu thematisieren, aus Angst, nicht wiedergewählt zu werden.
Wie das gehen kann? Ein Beispiel. Wer „Remigration“ propagiert, dem sei gesagt, dass dann von heute auf morgen rund 20 Prozent der Menschen fehlen, die heute Ältere betreuen und pflegen. Konsequenz: Niemand wechselt die Windeln. Ältere bleiben in ihrem Kot liegen. Wer das will, soll diese Parteien wählen, die die Remigration fordern.
Glauben Sie mir, es war auch früher nicht so, wie wir glauben. Oder wollen Sie ohne Wasch- und Geschirrspülmaschine leben?