Die Verschiebung der Wahl des Oberbürgermeisters / der Oberbürgermeisterin von Köln wird angeordnet, weil der Stimmzettel nicht der Chancengleichheit aller Kandidaten dient. Es ist kein Schreibfehler, kein Vertauschen von Namen und Beruf. Das kann vorkommen. Solche Fehler sind ärgerlich, aber menschlich. Doch hier hat jemand (oder mehrere?) bewusst dafür Sorge tragen wollen, dass die Chancen der Kandidaten nicht gleich verteilt sind. Dabei ist dies das Prinzip der Demokratie: jeder Mensch hat den gleichen Zugang zu jedem öffentlich zu vergebenden Amt. Doch nicht in Köln?
Und das seit 1999 - wie der Kölner Stadt-Anzeiger heute berichtet. In Köln ist es also seit Jahren guter Brauch, dass bestimmte Parteien sich gegenüber bestimmten Mitbewerbern einen Vorteil verschaffen durften. Das wurde geduldet. Doch jetzt profitieren diese Parteien nicht mehr alle gleichberechtigt davon, weil sich drei der etablierten Parteien für eine parteilose Kandidatin entschieden haben. Jetzt fällt ihnen auf, was sie jahrelang für hinnehmbar erachtet haben?
Eigentlich könnte man nur lachen, ob dieser Posse, die gut zu einer karnevalistischen Metropole passt. Narretei im Sonnesching sozusagen. Doch der Schaden ist weitaus größer als die eine Million Euro zusätzlicher Kosten und vielleicht ist auch Köln nur eine Eisbergspitze, weil manches auch in anderen Kommunen beobachtet werden kann. Was sind denn die möglichen Folgen?
Erstens: das Vertrauen in das rechtsstaatliche Verwaltungshandeln ist gestört. Es ist ein hohes Gut, wenn Menschen Vertrauen in das rechtsstaatliche Handeln ihrer Verwaltung haben, wenn sie sich mit ihrer Verwaltung identifizieren und sie darauf vertrauen, dass jeder Bürger von ihr gleich und nach rechtsstaatlichen Prinzipien behandelt wird. Das sollte nicht leichtfertig verspielt werden. Doch wenn nun selbst ein Stimmzettel manipuliert wird (und das nicht erst seit 2015), der immerhin rund 800.000 Wahlberechtigten vorgelegt wird, wie dreist ist man dann bei anderen Verwaltungsaufgaben?
Zweitens: das Vertrauen in handelnde Personen in der Verwaltungsspitze ist gestört. Es sind Menschen, die hier versagen. Aber wer bedenkt, wie viele Menschen die politischen Parteien in entsprechende Ämter unterbringen, deren vornehmliche Aufgabe es ist, die Interessen der Partei zu wahren, bevor die Interessen der Stadtverwaltung und die Interessen der Bürgerschaft (in dieser Reihenfolge) an der Reihe sind? Bei der Besetzung von Wahlbeamten aller Art spielt die Qualifikation häufig eine eher untergeordnete Rolle. In Köln war das zu spüren, als es an die Überprüfung eines Fehlers bei der Stimmenauszählung im Stadtteil Rodenkirchen ging. Der Stadtdirektor wollte die Macht "seiner" Partei erhalten, Recht und Ordnung und das Vertrauenskapital sowie Gerechtigkeitsgefühl der Bürger schienen ihm egal.
Drittens: das Vertrauen in demokratische Grundsätze der Gleichheit vor dem Gesetz ist gestört. Es ist eine große Errungenschaft der Demokratie, dass bei jeder Wahl zu einem öffentlichen Amt im Grunde jeder Bürger / jede Bürgerin kandidieren darf. Auch wenn den politischen Parteien vom Grundgesetz her eine besondere Rolle zugedacht worden ist, so bleibt es allen Bürgern außerhalb der politischen Parteien möglich, sich für ein Amt zu bewerben. Dass dies unter Wahrung der Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit von einer Verwaltung zu organisieren ist, sollte selbstverständlich sein. Dass Verwaltungsmitarbeiter diesen Grundsatz leichtfertig über Bord schmeißen, zeigt, wie sehr demokratische Grundsätze in politisch besetzten Verwaltungen an Wert verloren haben.
Viertens: das Vertrauen in demokratische Wahlen ist gestört. Die Wahlberechtigten haben einen Anspruch darauf, dass eine Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Taucht Misstrauen auf, wird im Grunde keinem Wahlergebnis mehr einfach so geglaubt. Und ehrlich: Wenn die Wahlbeteiligung bei 28,7 Prozent im 2. Wahlgang landet (so im Juli 2015 bei der Oberbürgermeisterwahl in Mannheim), dann haben im Grunde 15 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten entschieden, wer an der Spitze der Stadt die Weichen für die Zukunft stellt - oder eben auch nicht. Demokratische Legitimität sieht anders aus.
Die demografisch bedingten Veränderungen werden unsere Demokratie ebenfalls nachhaltig verändern. Wenn von den 20 Millionen Wahlberechtigten über 65 Jahre 80 Prozent zur Wahl gehen, von den rund 10 Millionen Wahlberechtigten unter 30 Jahren laut Wahlforschung nur noch 60 Prozent zur Wahl gehen, verschieben sich die Gewichte zu den älteren Generationen. Wenn die Mitglieder von CDU und SPD zur Hälfte älter als 60 Jahre alt sind, dann sollten wir uns fragen, wer wie welche Zukunft gestaltet? Und für wen das attraktiv ist? Wenn auf diesem Hintergrund dann noch das Vertrauen in rechtsstaatliches Verwaltungshandeln schwindet, dann entsteht eine Gemengelage, die Menschen und Parteien hervorbringt, die wir gar nicht mehr existent glaubten.
In Nordrhein-Westfalen ist eine Verfassungskommission im Landtag eingerichtet worden, die darüber nachdenken soll, welche Verfassung wir für welche Zukunft brauchen. Bisher war eine zentrale Idee, die Sperrklausel bei Kommunalwahlen wieder einzuführen. Ich glaube, es gibt weitaus größere und wichtigere Baustellen. In Köln gilt es nun, die Scherben zusammen zu kehren und erneut nachhaltig für Vertrauen zu werben. Das wird nicht einfach, insbesondere wenn sich die Personen in der Verwaltung(-sspitze) nicht verändern. Dabei könnte das auch eine Chance sein.