Unser Rechtsstaat ist eine Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit und Deutschlands. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Willkür und politischer Wille entschieden, wen Polizisten in Haft nahmen, wen Staatsanwälte anklagten, wen Richter verurteilten und wen Gefängnismitarbeitende beaufsichtigten. In Deutschland haben Menschen heute Rechte, die eingefordert, eingeklagt und überwacht werden (können). Für manche Menschen schwer nachvollziehbar: Es sind Rechte, die für alle Menschen gelten – egal wie sie aussehen, was ihnen vorgeworfen wird, woher sie kommen, woran sie glauben.
Doch all das ist nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: wenn wir nicht gegensteuern, wird der demografische Wandel diesen Rechtsstaat bedrohen, weil er ihn personalmäßig in Nöte bringt.
Es fängt schon damit an, dass Polizistinnen und Polizisten fehlen. Sicher: Überall – im Bund, in allen Bundesländern – werden neue Stellen geschaffen. Doch wer soll sie besetzen, zumal eine riesige Pensionswelle auf die Polizeibehörden zurollt? Das wissen alle Beteiligten, aber sie schauen weg. Jedenfalls werden die gegenwärtigen Maßnahmen nicht annähernd dazu beitragen, das Problem nachhaltig zu lösen.
Es geht weiter, dass schon im August 2017 der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, öffentlich darauf hinwies, dass mindestens 2.000 zusätzliche Staatsanwälte und Richter eingestellt werden müssten. Bis 2032 würden im Übrigen 40 Prozent aller gegenwärtig aktiven Staatsanwälte und Richter in Pension gehen. In manchen Bundesländern seien es sogar 60 Prozent, die sich auf ihren Ruhestand freuen dürften. Nur wer klagt dann an? Wer entscheidet über vorliegende Klagen? Wer erhält wann wie Recht? Was ist dann der Rechtsstaat tatsächlich wert? Der Richterbund schlug Anfang Januar 2019 erneut Alarm. Mit anderen Worten: es ist zwischenzeitlich nichts passiert.
Bleiben wir im Justizsystem: Wer zu Gefängnisstrafen verurteilt wird, der muss auch in deutschen Gefängnissen einsitzen und bewacht werden können. Doch schon ebenfalls im August 2017 beklagte Peter Brock, der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbeamten: „Im Strafvollzug von NRW fehlen rund 400 Bedienstete.“ Die Kette setzt sich dann nach der Entlassung fort: Wer hilft in der Zeit der Bewährung?
Die Demografie ist klar: Kamen 1964 noch 1.357.304 Menschen zur Welt, die 2031 nach geltendem Rentenrecht in den Ruhestand treten werden, so waren es 2013 nur noch 682.069 Menschen, die 2031 mit 18 Jahren dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. Die Hälfte der Arbeitsplätze bleibt also unbesetzt, da die Menschen nicht mehr geboren, nicht mehr da sind.
Wie lösen wir diese Herausforderungen? Strategien sind gefragt. Patentrezepte gibt es nicht, Konzepte könnten jedoch entwickelt werden. Zuwanderung, Digitalisierung, Entbürokratisierung und Umbau des Rechtsstaates, Entkriminalisierung bestimmter bisheriger Delikte, Investition in die frühkindliche Bildung, mehr Präventionsarbeit – das könnten so manche Stichworte eines zukunftsorientierten Rechtsstaatskonzepts sein. Das setzt Veränderungen voraus, und damit die Bereitschaft zu Veränderungen. Wer dies verweigert, soll sagen, wie er/sie die aufgezeigten Herausforderungen meistern will.
Wer nichts tut, lässt den Rechtsstaat gegen die Wand laufen. Die Gefahr ist dann groß, wenn die Ehrlichen – das sind noch über 90 Prozent der Bürger/innen – mehrheitlich davon überzeugt sind, sie seien die Dummen, wenn sie sich auf den Rechtsstaat verließen. Soweit sollte es nicht kommen. Wann fangen wir an, die Wirkungen des demografischen Wandels auf unsere gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr zu ignorieren?