Lieber Mesut Özil,

Lieber Mesut Özil,

um es vorweg zu sagen: Als ich Sie im Mai 2018 mit dem türkischen Präsidenten auf einem Foto sah, habe ich das als dumm empfunden. Ich habe den Kopf geschüttelt und es nicht verstanden. Ihre Einschätzung, von der ich heute im Juli 2018 erst las, dass Sie dem Präsidenten des Landes, aus dem Ihre Familie stammt, Respekt bezeugen wollten, ehrt sie. Ich kann das auch nachvollziehen, schließlich würde ich auch eine Terminanfrage eines Präsidenten, als Wertschätzung meiner Person ansehen und ihr mit Respekt begegnen.

Doch sie sind 29 Jahre alt. Ich hätte Ihnen zugetraut, dass Sie erkennen können, dass diese Terminanfrage und dieses Foto auch zu Wahlkampfzwecken in der Türkei, vor allem aber in Deutschland gebraucht wird. Schließlich leben viele Wähler/innen dieses türkischen Präsidenten in Deutschland. Er durfte selbst keine Wahlveranstaltung in Deutschland abhalten, fand aber andere Möglichkeiten, unter anderem Sie. Bestenfalls muss man Ihnen große Naivität vorwerfen, da Sie es – wie Sie sagen – nicht politisch sahen und meinten.

Es war zudem ein Fehler, solange mit dieser Erklärung zu warten. Bis dahin haben Sie allen Kritikern und Neidern, Besserwissern und Nörglern Gründe geliefert, Propaganda gegen Sie, gegen die Türkei und die Türken, gegen Zuwanderung und Migration in den asozialen Netzen zu verbreiten. Und Sie haben es anderen Menschen, die es wohlwollend mit Ihnen meinten und meinen, schwer(er) gemacht, für Sie zu sprechen.

Ihr Schicksal als Migrant, als Wanderer zwischen den Welten, teilen Sie in Deutschland mit rund 19 Millionen Menschen (rund 22 Prozent der Bevölkerung). Sie haben alle Wurzeln in den unterschiedlichsten Ländern. Und sie alle berichten, dass Sie zum Beispiel in Russland die Deutschen waren und hier die Russen bleiben. Sie alle teilen das Schicksal, dass Sie als Deutsche sich irgendwie nicht angenommen fühlen, aber auch in ihrem Herkunftsland nicht mehr daheim sind. In der Türkei nennt man sie ‚Almanci‘. Gleichwohl wäre jetzt Ihr Vorbild gefragt gewesen, denn Sie sind ein "Brückenbauer" zwischen diesen Welten.

Sicher: Politisch aktive Menschen verschärfen die Rhetorik auch noch unnötig gegenüber Menschen, die zuwandern bzw. zugewandert sind. Leider führt das auch dazu, dass ein gesellschaftliches Kommunikationsklima entsteht, indem Hetze, rassistische Äußerungen, Beschimpfungen und Beleidigungen gegenüber Menschen, die irgendwie „anders“ sind, zunehmen. Immer mehr Menschen glauben, dass ihr verwerfliches Gedankengut mehrheitsfähig ist, weil sie in ihren kommunikativen Blasen der asozialen Netzwerke Zuspruch erfahren. Eine Partei im Bundestag hetzt ebenfalls gegen Menschen, die anders sind und gibt dem einen "gewählten" Anstrich.

Und um das ebenso deutlich zu sagen: Ihr (aus meiner Sicht) „Fehler“ (Foto mit Erdogan vor den türkischen Wahlen und vor der WM) berechtigt niemanden zu rassistischer Hetze und zu menschenverachtenden Beleidigungen! Das ist und bleibt scharf zu verurteilen. Das lange Schweigen des DFB hierzu hat der Spekulation Nahrung gegeben, als ob er diese Art der Kritik unterstütze. Ich verurteile die dummen Aussagen der DFB-Funktionäre Grindel und Bierhoff, die Anfang Juli 2018 kamen. Sie zeugen ebenfalls von völlig verfehlter Kommunikationsfähigkeit.

Ihr „Fehler“ berechtigt aber zu Kritik, zumal Sie eine öffentliche Person sind, die auch Vorbildcharakter hat. Respekt ist in dem Zusammenhang auch ein wichtiger Wert – nicht nur gegenüber dem gewählten Präsidenten des Landes, in dem Ihre Eltern geboren sind und dem sie sich auch noch immer verbunden fühlen (das darf auch so sein!). Aber auch gegenüber den vielen Fans, für die Sie Vorbild sind.

Ich hätte mir daher gewünscht, dass Sie stolz und souverän reagieren, aber nicht gleich hinwerfen. Das ist schade. Ich hätte Sie gern wieder im Team der deutschen Fußballnationalmannschaft spielen sehen. Weil wichtiger als unsere unterschiedliche Herkunft bleibt unsere gemeinsame Zukunft, die wir mit den unterschiedlichsten Talenten zu gestalten haben. Und Sie haben Talent.

Dennoch: Danke für Ihr Wirken in den letzten Jahren.

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