Remigration – Wenn aus Gedanken Messer werden

Remigration – Wenn aus Gedanken Messer werden

82,7 Millionen Menschen leben in Deutschland. Davon haben – so das Statistische Bundesamt – 13,9 Millionen keine deutsche Staatsangehörigkeit, rund 21,2 Millionen können Einwanderungsgeschichten erzählen. Es ist schon erstaunlich, was ein einziger davon bewirkt, wenn er – im Namen einer Terrororganisation – wahllos Menschen umbringt bzw. lebensgefährlich verletzt.

Dabei ist eines klar: Sollten Sie morgen beschließen, mit einem Messer bewaffnet eine belebte Fußgängerzone zu betreten, um ebenso wahllos Menschen umzubringen, wer wollte Sie daran hindern? Nichts und niemand wird durch welche Maßnahme auch immer verhindern können, dass solche schrecklichen, verachtenswerten und feigen Taten begangen werden (können). Und dass im Moment landauf landab Menschen glauben, Gewalt anwenden zu dürfen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, wenn zum Beispiel demokratisch gewählte Menschen angegriffen oder bedroht werden, weil sie politisch aktiv sind, wer setzt ihnen Grenzen? Und wer beklagt sich noch um die sich stetig verrohende Sprache im Internet. Ganz im Gegenteil: Immer mehr Menschen beteiligen sich nicht an den Diskursen in den sogenannten sozialen Netzwerken und überlassen diese Diskussionen den Radikalen. Und die glauben dann noch, dass ihre Gedanken mehrheitsfähig werden, weil sie unter sich sind und sich gegenseitig „liken“.

Wann werden aus diesen Gedanken tatsächlich Messer? Eine Demokratie, die ermöglicht, Regierungen abzuwählen, wird schneller der Vergangenheit angehören, als wir glauben. Radikale haben noch nie demokratische Grundpfeiler beachtet. (Erinnern Sie sich noch an Herrn Trump und den von ihm angefachten Sturm auf das Kapitol in Washington?)

Für manche Menschen lautet die Lösung „Ausländer raus!“ oder anders ausgedrückt: Remigration. Zwei Millionen Menschen sollen in kürzester Zeit das Land verlassen, wenn sie die Gelegenheit hätten. Die Jugendorganisation der AfD in Brandenburg gibt die Losung aus, dass zwei Millionen Ausländer*innen in Deutschland weniger, zwei Millionen Wohnungen für Deutsche mehr seien.

Spielen wir Remigration doch mal durch:

  • Rund 20 Prozent der Menschen, die in der Altenpflege arbeiten, sind Menschen mit einem ausländischen Pass. Sie sind nun weg. Wer wechselt den Älteren nun die Windel? Oder bleiben diese nun in ihrem Kot liegen? Wer das will, soll zum Beispiel AfD wählen.
  • Rund 15 Prozent der Menschen, die als Arzt / Ärztin in Deutschland tätig sind, verfügen nicht über einen deutschen Pass (rund 64.000 Menschen). Die größte Gruppe darunter sind im Übrigen Syrer*innen (6.120). Sie sind nun weg. Wer versorgt die kranken Menschen, die schon heute lange auf Termine und Operationen warten müssen? Oder sollen sie einfach eher sterben? Wer das will, soll zum Beispiel AfD wählen.
  • Wer in den Flughäfen mal einen Blick in die Abteilungen wirft, wo die Koffer der Reisenden sortiert werden, der wird feststellen, dass ohne Menschen mit ausländischen Pässen dort nichts mehr laufen würde. Wer sorgt dann dafür, dass Ihre Koffer mit Ihnen auf die Urlaubsreise gehen? Oder sollen Deutsche einfach nicht mehr im Ausland Urlaub machen? Wer das will, soll zum Beispiel AfD wählen.

Wir können diese Beispiele problemlos in jedem Lebensbereich weiterspielen. Die Wahrheit ist: Wir brauchen einander. Bei der ganzen Rhetorik, die auf dem Hintergrund des terroristischen Attentats in Solingen gerade von allen politischen Seiten bemüht wird, darf das nicht vergessen werden.

Und in zwei Jahrzehnten wird die Mehrheit der Menschen über 50 Jahre mehrheitlich keinen Migrationshintergrund haben, während die Mehrheit der Menschen unter 50 Jahre mehrheitlich einen Migrationshintergrund erzählen können. Wer schiebt also in welchem Klima unseren Rollstuhl? Wenn Sie wollen, dass Ihr Rollstuhl stehen bleibt, bitte.

Meine Lösung sieht vor, dass wir mehr in Integration und Inklusion, mehr in Miteinander, mehr in Zusammenhalt investieren, statt in Spaltung, Hass und Hetze.

Hätte Solingen verhindert werden können? Ja, wenn der Täter abgeschoben worden wäre. Dass er nicht abgeschoben wurde, hängt mit unserer föderalistischen Politikverflechtungsfalle und einem behördlichen Zuständigkeitswirrwarr zusammen. Haben Sie einen Vorschlag gehört, der das abschaffen möchte? Ich nicht.

Aber das Klima wird angeheizt, so dass aus Gedanken irgendwann Messer werden – können. Ich mache mir Sorgen.

 

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