Die Geschichte der Menschheit belegt an vielen Orten und zu verschiedenen Zeiten, dass Religion und Religionszugehörigkeit Anlass für viele kriegerische Auseinandersetzungen gewesen sind, die stets vielen Menschen das Leben kostete. Leben, das jede Religion im Prinzip zu achten verspricht.
Die Geschichte unserer Menschheit belegt zudem, dass Regierungen bzw. Herrscher stets Angehörige einer bestimmten Religion als Sündenbock für Missstände belangten, um nicht zuletzt eigene Unzulänglichkeiten und Vorurteile zu verhüllen. Das können wir heute zum Beispiel im Nahen Osten täglich beobachten.
Es gibt allerdings nichts Vergleichbareres wie die planmäßige, staatlich-gelenkte und organisierte, kühl und strategisch durchgeführte Massenvernichtung von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland. Dieses einmalige Vorgehen wurde am 20. Januar 1942, also vor 75 Jahren, in einer Villa am Berliner Wannsee, in einer 90minütigen Konferenz mit anschließendem Frühstück als „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. Akribisch und technokratisch kühl diskutierten 15 Menschen den Tod von bis zu elf Millionen Menschen jüdischen Glaubens im von Deutschland besetzten Europa. Das alles ist in einem Protokoll, das Adolf Eichmann führte, schriftlich festgehalten worden.
In den Jahren vor 1942 sind Menschen jüdischen Glaubens immer wieder diskriminiert, ausgegrenzt, benachteiligt oder öffentlich gebrandmarkt worden. Gegen Juden zu sein, wurde immer normaler.
Und heute?
Vor etwa 10 Jahren kam ich im Rahmen einer Fahrradtour durch Berlin zufällig an dieser Villa am Wannsee vorbei, in der heute ein Museum eingerichtet ist, dass die Wannsee-Konferenz und ihre Auswirkungen dokumentiert. Als ich still und beklommen durch die Räume schlich, gesellte sich auch eine Schulklasse dazu, die, das spürte man deutlich, an diesem Freitagnachmittag anderes im Kopf hatte als deutsche Geschichte. Plötzlich schlossen sich die Türen und ich war mit dieser Klasse allein im Raum.
Die Museumsangestellte mühte sich nun redlich, das Interesse der 15-/16-Jährigen zu entfachen und zu halten. Es gelang ihr leider nicht wirklich. Da wagte ich es, mich einzumischen. Ich emotionalisierte sie, indem ich die Schüler/innen bat, sich vorzustellen, wir würden heute, nach den schrecklichen terroristischen Anschlägen durch Islamisten, beschließen, alle Muslime, allein in Deutschland damals rund drei Millionen (heute 4,5 Millionen), deportieren, um sie anschließend zu ermorden. Es waren auch türkischstämmige Jugendliche in der Gruppe. Und dann malte ich aus, wie in diesen Räumen 15 Männer feixend beschließen, diese Menschen systematisch zu ermorden und wie das reibungslos organisiert werden könne.
Das sei undenkbar? Das hatte sich 1942 auch keiner wirklich vorstellen können oder wollen! Das sei heute undenkbar? Es brauche nur Funken, die Angst erzeugen, Menschen, die sich Vorteile davon erhoffen, eine Religion zu diskreditieren und es werde schneller Wirklichkeit, als man glaube. Aber ehrlich: Ich hätte mir bis vor einigen Wochen nicht vorstellen können, dass die USA Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern generell die Einreise verbietet.
Abschließend bat ich diese Schüler/innen, sich in ihrem Leben für Religionsfreiheit als unveräußerliches Menschenrecht (Artikel 4 Grundgesetz) und für ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen einzusetzen. Ich bat sie, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, um für die Zukunft zu lernen. Ich bat sie, in ihrem Leben dazu beizutragen, dass sich Derartiges nie wiederholen könne. Die Klassenlehrerin dankte mir.
Doch hätte ich nicht gedacht, dass ich dieses Erlebnis in der Wannsee-Villa irgendwann auf dem Hintergrund von realer Politik noch einmal in Erinnerung rufen würde. Gilt es heute wachsamer zu sein, um den Anfängen zu wehren?