Unser Gesundheitssystem 2030: Gewaltige Veränderungen stehen an – lassen wir sie liegen!

Unser Gesundheitssystem 2030: Gewaltige Veränderungen stehen an – lassen wir sie liegen!

Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung legt das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) eine Studie vor, die vorschlägt, statt bisher 38 Kliniken in Köln, Leverkusen, dem Rheinisch-Bergischen, Oberbergischen und Rhein-Erft-Kreis spätestens 2030 nur noch 14 Häuser zu unterhalten. Wen wundert es, dass unisono politische Mandatsträger/innen der Region, Manager/innen der betroffenen Krankenhäuser und anderweitig gesundheitlich Betroffene das ablehnen. Tenor: es sei doch gut, so wie es sei. Es stünden doch gar keine Betten leer. Bei Herzinfarkt und Schlaganfall käme es doch auf jede Minute an. Man solle nicht auf den Euro schauen, sondern auf die gesundheitliche Versorgungssicherheit der Menschen.

Okay. Blicken wir auf das Jahr 2030. Was wissen wir schon heute über das Jahr 2030, in dem wir auch ein funktionierendes Gesundheitssystem brauchen? Zum einen wissen wir, dass dann erheblich mehr Menschen über 65 Jahre in Deutschland leben werden als heute. Sind es heute ca. 21 Prozent der Bevölkerung, dürften es dann rund 28 Prozent sein. Dabei handelt es sich um Menschen, die schon geboren sind und einfach nur älter werden. Und wir wissen auch: die meisten gesundheitlichen Dienstleistungen werden im Alter nachgefragt. Anders ausgedrückt: die Patientinnen und Patienten, die Altersdiabetes, Grauen Star, Parkinson, Schlaganfall, Krebs oder gar Alzheimer haben, werden deutlich zunehmen.

Gleichzeitig wissen wir, dass es erhebliche Mängel bei der Besetzung von ärztlichem und pflegerischem Personal geben wird. Klar: die Ärztinnen und Ärzte werden nach dem Studium erst ins Krankenhaus müssen, so dass es auf diesem Sektor keine allzu großen Engpässe geben dürfte, aber im ambulanten, niedergelassenen Bereich, also in der Nachsorge zu einem Krankenhausaufenthalt dürfte es enorme Engpässe geben, insbesondere im ländlichen Raum. Schon heute ist jede/r zweite niedergelassene Arzt/Ärztin älter oder jünger als 55 Jahre. In zwölf Jahren ist jede zweite Praxis von heute zu. So viele Studierende sind gar nicht da, um das aufzufangen. (Könnte man politisch ändern, müssten sich 16 Bundesländer nur auf den Weg machen!) Naja und beim Pflegepersonal hören wir ja heute schon von Tausenden Stellen, die nicht besetzt werden können. Frage: Wie viele Pflegende sind heute älter als 50 Jahre? 40 Prozent? Auch die müssen ersetzt werden! Doch woher nehmen, denn die Geburtenzahlen haben sich seit 1964 nahezu halbiert? Und trotz viel Gerede hat sich die Attraktivität dieser Pflegeberufe noch nicht wahnsinnig verbessert.

Schließlich kommt noch der medizinisch-technische Fortschritt, der sehr rasant verläuft. Auch das wissen wir, darauf bauen wir sogar. Immer neue Geräte, stets verbesserte Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sollen natürlich auch im Krankenhausalltag ankommen. Das kostet nicht nur, sondern bedarf auch der steten Aus- und Weiterbildung.

Die Finanzierung eines Gesundheitswesens vornehmlich aus Beiträgen sozialversichert Beschäftigter hängt natürlich auch davon ab, dass es genügend Beitragszahlende gibt. Das ist mathematisch gesichertes Wissen. Doch spätestens 2031, wenn der geburtenstärkste Jahrgang (1964) in Rente geht, werden sich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Menschen, die nicht erwerbstätig sind, die Waage halten. Wer finanziert also immer mehr Patientinnen und Patienten, die lukrativeren Löhne im Gesundheitswesen sowie den stetig steigenden medizinisch-technischen Fortschritt im Krankenhaus vor der Haustür? Die Studie gibt dazu eine Antwort. Diese Antwort will man nicht. Doch was will man dann? Lösungen hat man nicht. Und jetzt?

Uns geht es doch gut. Weiter so! Es wird schon irgendwie gelingen! Eben. Deshalb haben wir auch plötzlich so viele ältere Menschen, die gepflegt werden müssen, obwohl sie seit 80 Jahren leben, so viele Brücken, die gleichzeitig marode geworden sind und nun repariert werden müssen, einen so eklatanten Fachkräftemangel, obwohl der sich demografisch seit Jahren ankündigte.

Wir wollen einfach, dass sich nichts verändert. Nur: Die Wirklichkeit wird sich nicht daran halten. Dann, so die Hoffnung vieler Nicht-Handelnder von heute, bin ich hoffentlich im Ruhestand. Tja, aber das ist es ja: Sie werden heute so alt, dass auch sie die Auswirkungen nicht gelegter Weichenstellungen noch spüren werden. Hautnah! Auch das wissen wir heute. Aber wir handeln nicht danach. Siehe Klima.

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