Vorschläge zur Migration und ihre Verwirklichungstauglichkeit

Vorschläge zur Migration und ihre Verwirklichungstauglichkeit

In den letzten Wochen wurden bei Anschlägen an verschiedenen Orten in Deutschland Menschen getötet, viele Menschen verletzt, teils schwer, weil Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind und hier aufgenommen wurden, dieses Gastrecht missbrauchten. Jede einzelne Tat ist schrecklich – unabhängig davon, wer sie verübt hat.

Schnell werden dann Forderungen laut, die sich im Überbietungswettbewerb nach Handlungsfähigkeit anhören, bei näherer Betrachtung aber wenig nachhaltig durchdacht sind. Das bewirkt dann leider wenig, enttäuscht aber weiter massiv Vertrauen – und das nachhaltig.

Ziel sollte daher sein, bei den vielen Vorschlägen, die uns unterbreitet werden, zu fragen, ob damit die konkrete Tat hätte verhindert werden können, sowie zu fragen, was die Umsetzung tatsächlich bedeutet und wie realistisch sie ist.

Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen. So forderte Friedrich Merz (CDU) in seinem Fünf-Punkte-Programm zur Migration unter anderem die „Sofortige Inhaftierung von ausreisepflichtigen Personen“. Das hört sich zackig an. Doch das Problem steckt im Detail: „Vollziehbar ausreispflichtig“ waren am 31. Dezember 2024 exakt 220.808 Menschen (darunter im Übrigen auch Kinder, die in Deutschland geboren sind). „Unmittelbar Ausreisepflichtige“ waren zu dem gleichen Zeitpunkt immerhin 43.200 Menschen. Die sollen nun in Haft genommen werden? Ich stelle mir schon die Polizeirazzien in den jeweiligen Kommunen vor.

Es müssten dann Haftanstalten gebaut werden, die wir nicht haben, oder bestehende, eventuell leerstehende Gebäude in Haftanstalten umgebaut werden. Das dauert. Nur zum Vergleich: In Deutschlands Gefängnissen sind gegenwärtig rund 70.000 Menschen untergebracht. Jetzt kommen mindestens 43.200 unmittelbar dazu? Aber selbst, wenn die Immobilien dafür vorhanden und sofort bezugsfähig wären, möchte ich nicht die lokalen Debatten erleben, die unsere Bürger*innen lostreten, weil sie diese Menschen nicht in räumlicher Nähe wissen möchten.

Doch es braucht auch Personal, die diese Menschen bewachen und versorgen. Es braucht Lehrkräfte, die die Kinder unterrichten, denn nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die Deutschland als gültiges Recht anerkannt hat, haben alle Kinder ein Recht auf Bildung. Es braucht eine gesundheitliche Betreuung. Wo kommen diese Menschen her? Und selbst, wenn es gelänge, diese Menschen zu rekrutieren, wo reißen wir anderweitig Personalprobleme auf?

So mussten wir im September 2024 erfahren, dass in Deutschland 821 verurteilte Mörder frei herumliefen, weil das Personal fehlte, sie in die Gefängnisse zu bringen. Das ist Realität in Deutschland – und kümmert niemanden. Das Personal wird nun weiter verknappt, weil an den Grenzen und in den noch zu bauenden Haftanstalten Personal gebraucht wird.

Dramatisch nenne ich nicht nur diese Entwicklung sowie die gesamte aktuelle Diskussion. Dramatisch ist, dass politisch Verantwortliche Forderungen aufstellen, ohne sie zu Ende zu denken, dass sie Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Das führt dann eher zu weiterer Frustration.

Friedrich Merz hat diese Forderung zwischenzeitlich zurückgenommen. Das ändert aber nichts daran, dass eine Mehrheit im Deutschen Bundestag es wollte, weil sie so dachte – darüber aber nicht nachdachte.

Dramatisch ist auch, dass unser politischen Spitzenpersonal das Thema „Demografischer Wandel“ nicht verstanden hat. 2031 geht nach geltendem Rentenrecht der geburtenstärkste Jahrgang (1964) in den Ruhestand. Das waren 1.357.304 Kinder. Im gleichen Jahr wird der Geburtenjahrgang 2013 volljährig und kommt ins Arbeitsleben. Das waren 682.069 Geburten. Die Organisation und Funktionalität unserer gesamten Gesellschaft müssen umgebaut, auf diese neuen Rahmenbedingungen zugeschnitten werden. Lesen Sie dazu etwas im Programm einer Partei? Thematisieren wir diese Fragen im Bundestagswahlkampf? Greifen Medien diese Fragen in Diskussionsrunden mit den Kandidat*innen auf? Fordern unsere spendenfreudigen Unternehmen Antworten darauf ein?

Fakt bleibt: Migration ist Teil der Lösung unserer Herausforderungen der Zukunft. Denn wichtiger als unsere unterschiedliche Herkunft bleibt unsere gemeinsame Zukunft.

Die Zukunftsgestaltung kann daher nicht in schwarz-weiß gedacht werden, sie bedarf eines sowohl-als auch. Die Komplexität der Sachlagen überfordert manche Menschen, die nach einfachen Lösungen suchen. Die gibt es jedoch in den meisten Fällen nicht mehr. Daher: Misstrauen Sie einfachen Lösungsvorschlägen – mögen Sie auch noch so logisch klingen und wünschenswert sein. Nachdenken schadet selten.

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