Seit Jahren wiederholt sich die Klage, dass immer weniger jüngere Menschen den Weg in Vereine, so zum Beispiel den Schützenverein, finden. Immer weniger würden für “Glaube, Sitte, Heimat” zum Beispiel Verantwortung übernehmen. Man sei froh, wenn sich überhaupt noch jemand fände, der Schützenkönig werden möchte. Ähnliches lässt sich von vielen anderen Vereinen und Aktivitäten berichten.
Doch ehrlich: mich wundert das nicht. So hat sich der potenzielle Nachwuchs halbiert. Kamen bundesweit 1964 noch 1.357.304 Kinder zur Welt, waren es 2015 nur noch 738.000 Kinder. Dadurch können nur immer weniger Menschen den Weg in die Vereine finden, denn es wurden seit Jahrzehnten weniger Menschen geboren. Und die Vereine konkurrieren auch noch um den halbierten Nachwuchs. So hat zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr das Alter für Kinder von zehn Jahren auf sechs Jahre herabgesetzt, da man die Kinder für sich gewinnen möchte, bevor sie beim Sport (oder anderswo) landen. Wo bleibt hier zum Beispiel die Tradition des Schützenvereins oder Karnevalvereins, des Männerchors oder Gesangvereins?
Festzuhalten ist, dass dies auch etablierte Strukturen wie unsere christlichen Kirchen trifft. Seit Jahren fühlen sich immer weniger Menschen, insbesondere jüngere Menschen, mit der Kirche und ihren Traditionen verbunden. Die zahlreichen Kirchenaustritte sind nur ein Beleg für diese These. Erste Kirchengemeinden finden schon keine jungen Sternsinger mehr. Bei vielen Vereinen - Sport, Brauchtumspflege, Wohlfahrt - sind Ehrungen für 60-, 65- oder gar 70-jährige Mitgliedschaft keine Seltenheit mehr. Sie überwiegen die für 10- oder 15-jährige Mitgliedschaft.
Auch fehlt es nicht selten an einer gesellschaftlichen Aktualisierung und Modernisierung des Engagements. Bei den Schützen zum Beispiel der Motivstränge Glaube, Sitte und Heimat. Wenn zum Beispiel 21 Prozent der Bundesbürger Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte sind und rund ein Drittel der neu geborenen Kinder ebenfalls Wurzeln aus dem Ausland haben, dann gewinnt die Vokabel “Heimat” eine neue Bedeutung. Tragen wir dem Rechnung? Oder sagen wir einfach: "Das war doch immer so!"
Schützenvereine tun sich aber zum Beispiel schwer, wenn ein türkischstämmiges Mitglied Schützenkönig wird. Er ist ja muslimischen Glaubens. Doch der Glaube ist etwas anderes als die Religion. Und jede Religion vertritt in der Regel die gleichen Werte, so zum Beispiel: Du sollst nicht töten! Kann Glaube nicht als Wertegemeinschaft interpretiert werden? Schließlich mangelt es nicht selten an einer Bereitschaft zur Veränderung.
Die Gesellschaft hat sich zum Teil massiv verändert, doch nicht wenige Menschen suchen ihre Nischen, wo sie “früher” frönen können, wo sie Entschleunigung erleben, Traditionen pflegen und die Sicherheit des Bekannten und Unveränderten erleben. (Wir haben es gerade beim Brexit erlebt, wo insbesondere ältere Menschen das gute alte England wieder aufleben lassen wollen!) Doch manchmal kommt man einfach zu spät. Dabei könnten so manche Vereine eine Renaissance erleben, wenn es ihnen glaubhaft gelänge, ihre Werte (Glaube, Sitte, Heimat) zu aktualisieren. Dazu braucht es Mut, Mut etwas anders zu machen.
Und besonders bedeutsam ist, dass sich das Motiv zum freiwilligen Engagement verändert hat: Engagement ist für immer mehr Menschen Ehrensache (siehe Flüchtlingshilfe), aber immer weniger Ehrenamt. Darauf gilt es vor Ort zu reagieren. Doch nach wie vor setzen die Menschen (insbesondere auch in den Räten) allein und vor allem auf Vereine, damit auf Vergangenheit. Wir brauchen jedes freiwillige Engagement mehr denn je. Ohne dieses Engagement wären die deutschen Verwaltungen zum Beispiel bei der Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung zusammengebrochen. Doch dieses Engagement braucht neue Formen und Strukturen - neben den Vereinen. Das wäre aktive Zukunftsgestaltung - mit den Menschen.