Die Diskussion um das Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan durch den Moderator Jan Böhmermann im Rahmen einer ZDF-Neo-Sendung kann eigentlich nur der richtig führen, der das Schmähgedicht ganz und im Zusammenhang gelesen hat. Das habe ich nun getan. Bloß weil die dort vorgetragenen Zeilen sich reimen, muss es noch kein "Gedicht" sein. Doch schon als Schüler habe ich gelernt, dass man hierüber trefflich streiten kann. Nur heute bin ich dabei nicht mehr von der Notengebung eines Lehrers abhängig.
Ich selbst habe mich gewundert, was für ein Aufheben seitens des türkischen Staatspräsidenten darum gemacht wurde und habe mir die Augen gerieben, als sich unsere Bundeskanzlerin im Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten davon distanzierte. Die dadurch in Gang gekommene Diskussion hat jedenfalls Jan Böhmermann bundesweit bekannt gemacht und eine intensive Debatte zum Thema "Meinungs- und Kunstfreiheit" initiiert. Auch haben wir über das Strafrecht in Deutschland viel gelernt. Überflüssige Paragraphen überleben lange, hier über 100 Jahre.
Rosa Luxemburg hat mal sinngemäß vor rund hundert Jahren formuliert: "Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des nächsten beginnt." Das stimmt!
Um eines klar zu sagen: Wir brauchen uns über die despotischen Eigenschaften des türkischen Staatspräsidenten nicht zu unterhalten. Er muss zutiefst persönlich gekränkt sein, denn sonst kann man sich rund 2.000 Beleidigungsklagen im eigenen Land und Verurteilungen von Minderjährigen, weil sie via Facebook Unflätiges über ihn verbreiteten, nicht erklären. Auch die Tatsache, dass er einen erneuten Krieg mit den Kurden vom Zaun brach, um die absolute Mehrheit seiner Partei bei der letzten Parlamentswahl zu sichern, disqualifiziert diesen Menschen. Gleichwohl: er ist demokratisch gewählt! Auch wenn das nicht passt!
Als ich nun über Erdogan in dem Schmähgedicht folgende Zeile fand: "Am liebsten mag er Ziegen ficken", da habe ich gedacht: "Böhmermann, der Mann bietet so viele Angriffsflächen, warum greifst du ihn unter der Gürtellinie an?" Zudem: Ich möchte meinen (Enkel-)Kindern weiterhin überzeugt sagen: "Ziegenficker" ist ein schlimmes Schimpfwort, eine üble Beleidigung. Das ist keine Kunst! Das macht man nicht! Und damit nicht genug: Böhmermann vertieft das mit der Zeile "Fellatio mit hundert Schafen". Mit anderen Worten: Erdogan lässt seinen Penis von hundert Schafen lecken. Das ist weder gehobene Kunst, noch Meinungsfreiheit, noch Satire. Das ist üble, menschenverachtende, sexistische und dumpfe Nachrede, die - so meine ich - nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Nachdem Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Axel-Springer-Verlag, sich hinter jedes einzelne Wort von Böhmermann gestellt hatte, wartete ich auf die Schlagzeile "Ziegenficker" in der BILD. Das ist ja nun Kunst. Kinder zitieren dieses Wort sicherlich jetzt auf den Schulhöfen als Beitrag zur Gedichtinterpretation im Deutsch-Unterricht!
Ich bin froh und gespannt, dass nun deutsche Gerichte hier zu entscheiden haben. Vielleicht gehört "Ziegenficker" ja künftig zum gehobenen Umgangston in Deutschland. Ich hoffe nicht! Eine Gesellschaft hält dann zusammen, wenn man einander wertschätzend begegnet, nicht beleidigend!