Im Vorfeld des diesjährigen Bildungsgipfels am 25. November 2021 haben sich die Bildungskoordinatorinnen des Landkreises Berchtesgadener Land, Julia Aschauer und Katharina Heyking, mit dem Vortragsredner, Dr. Winfried Kösters, zum Thema "Gesellschaftliche Veränderung ist Zukunftsaufgabe aller Generationen" ausgetauscht.
Herr Dr. Kösters, warum sollte die Zukunft Ihrer Meinung nach keine Verlängerung der Vergangenheit sein?
Wir stehen vor Veränderungsprozessen, die in der Geschichte der Menschheit noch nie jemand so zu gestalten hatte: Noch nie hatten wir eine derart älter werdende Bevölkerung, die von immer weniger Menschen versorgt werden soll. Jährlich gehen rund 300.000 Menschen mehr in den Ruhestand als neu in den Arbeitsprozess hineinkommen. Darauf haben wir noch keine Antworten.
Noch nie hat sich das Klima in so nachhaltiger Radikalität in so kurzer Zeit verändert, so dass die Menschheit als Ganzes gezwungen ist, ihren Lebensstil radikal klimafreundlicher zu gestalten.
Noch nie erfasste uns ein Technikangebot mit der Digitalisierung, dass nicht nur analoge in digitale Informationen verwandelt, sondern dass es ermöglicht, dass digitale Systeme untereinander kommunizieren, ohne dass wir das als Menschen steuern können.
Diese Veränderungsprozesse verlaufen zudem gleichzeitig, beeinflussen einander und bieten auch Lösungsoptionen füreinander an. Das setzt auch neue Herausforderungen an die politischen sowie administrativen Steuerungsmechanismen der Gesellschaft.
Was denken Sie ist die größte Herausforderung, die in den nächsten Jahren auf uns zukommt?
Die besondere Herausforderung ist die Kombination dieser Veränderungen. Beispiel: Der Klimawandel bedingt deutlich heißere Sommer und mehr tropische Nächte. Eine älter werdende Gesellschaft wird dadurch mehr zu behandelnde Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen, die auch in Krankenhäusern aufgenommen werden, wo schon heute ein pflegerischer und ärztlicher Engpass feststellbar ist. Die Digitalisierung erlaubt telemedizinische Lösungsoptionen, die aber nur dann möglich sind, wenn die technische Infrastruktur vorhanden ist. Die Herausforderung ist es, interdisziplinärer und in Zusammenhängen zu denken.
Angenommen Sie hätten einen Wunsch frei, was würden Sie heute als erstes verändern, um eine gelingende Zukunft zu gestalten?
Ich würde das Familienwahlrecht einführen. Denn dann hätten alle Menschen ein Stimmrecht, das Eltern bis zu einem gewissen Alter stellvertretend für ihre Kinder aus-üben. Zurzeit haben die Menschen ab 55 Jahren bei jeder Wahl die strukturelle Mehrheit. Ihre Themen und ihre Blickwinkel für die Zukunft entscheiden. Diese Perspektive greift zu kurz. Wir brauchen auch die Stimmen, derjenigen, die noch 80 Jahre Zukunft gestalten müssen. Das fehlt.