Unser Rechtsstaat, Chemnitz, Hambacher Forst und eine hilflose Wut

Unser Rechtsstaat, Chemnitz, Hambacher Forst und eine hilflose Wut

Ein Rechtsstaat, auch der unsrige, lebt davon, dass die Menschen, die in ihm leben, die Regeln, die das Miteinander in diesem Staat beschreiben, akzeptieren und befolgen. Das mag manchmal schwer fallen. Aus diesem Grunde haben die Menschen die Möglichkeit, diejenigen, die in Parlamenten die Gesetze erlassen, die dieses Miteinander bestimmen, zu wählen, aber sich auch selbst zur Wahl zu stellen. Denn Gesetze können in einem genau definierten Verfahren geändert werden, immer und jederzeit.

Nur die Grundrechtsartikel im Grundgesetz (Art. 1 – 20) sind unabänderlich. Dazu zählt also auch Art. 16, das Grundrecht auf Asyl. Wer das abschaffen will (was grundsätzlich möglich wäre), schafft unser Grundgesetz ab. Ich zum Beispiel möchte das nicht.

Wer glaubt, dies allein bestimmen zu dürfen, weil er oder sie meint, für eine vermeintlich gute Sache zu kämpfen (zum Beispiel ‚Deutschland den Deutschen‘ oder ‚Gegen die Klimaverbrecher‘), der irrt. Wer glaubt, seine Position sei die der Mehrheit, weil man ja das Volk (gegen die da oben) sei, der irrt auch. Denn es gibt nur einen Weg festzustellen, was das deutsche Volk will: Wahlen bzw. Abstimmungen. Wer – für welches Ziel auch immer – auf die Straße bzw. in den Wald geht, drückt niemals eine Mehrheitsmeinung aus. Er drückt immer nur eine Position bzw. Haltung einer Minderheit aus.

Wer glaubt, für die Durchsetzung seiner Ziele Gewalt anwenden zu dürfen, der irrt auch. Es mag ein noch so sympathischer Grund sein, für den sich jemand einsetzt: Gewalt ist tabu. Das gilt für alle. Politische Parteien, die das verharmlosen – für welchen Zweck auch immer – rütteln an den Grundfesten des Rechtsstaates, der auf dem Gewaltmonopol des Staates basiert. Denn genau dieses Gewaltmonopol brauchen auch sie, sollten sie einmal die Regierungsmehrheit gestalten können.

Die Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland basiert auf geltendem Recht. Wer dieses Recht ändern will, darf das – im Rahmen der Gesetze. Wer aber glaubt, das Recht selbst in die Hand nehmen zu müssen, zum Beispiel Bürgerwehren zu gründen, Menschen zu verfolgen, zu schlagen oder zu drangsalieren, weil sie zum Beispiel „raus“ sollen, der ist zu verurteilen – und niemals zu rechtfertigen. Wer das tut, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, des Rechtsstaates. Er oder sie ist kriminell.

Auch der Abbau der Braunkohle und die Rodung eines Waldes auf einem Grundstück, dass Eigentum des Energieunternehmens RWE ist, basiert auf geltendem Recht. Das scheinen manche zu verdrängen. Wer möchte zum Beispiel, dass Menschen auf seinem Grundstück Erdlöcher ausheben, Tunnelsysteme buddeln oder auf Bäumen Häuser errichten? Ich möchte diese Menschen nicht auf meinem Grundstück haben. RWE – das muss gesagt werden dürfen – handelt rechtmäßig. Im Übrigen ist RWE nicht allein ein „Klimaverbrecher“, denn – Hand aufs Herz – das sind wir alle – irgendwo irgendwie. Wer Klimaschutz ernst meint, müsste seinen Lebensstil ändern – deutlich und nachhaltig.

Natürlich könnte man auf die Entscheidungen der Strukturkommission (Kohlekommission) Ende des Jahres warten. Das würde keinen Zacken aus der Krone brechen. Es wäre auch klug. Doch ehrlich: Sollte die Kohlekommission ein Datum für das Ende der Braunkohle festlegen, dass die Rodung des Hambacher Forstes dennoch möglich oder gar notwendig macht: Würden die Gegner dann nicht mehr protestieren, es gar akzeptieren?

Und das ist das Problem: Die Akzeptanz von getroffenen Entscheidungen – in welchen Formaten auch immer. Hier mischen sich Hilflosigkeit, Ohnmacht, Wut, Kränkungen und Demütigungen mit der aktiven Gestaltung von Zukunft für ein Gemeinwesen. Es wird immer schwieriger, Menschen an den Rändern, aber auch in der Mitte der Gesellschaft zu erreichen. Das Tempo der Veränderungen und die vielfältigen sowie komplexen Herausforderungen der Zukunft sind für die allermeisten Menschen intellektuell kaum noch nachvollziehbar. Das Vertrauen in die handelnden politischen Akteure, Probleme anzupacken und zu lösen, schwindet dramatisch. Wer redet noch über das jahrelange Milliardengrab des Berliner Flughafens?

Wir spüren das in den geopolitischen Fragen der Migration, die weltweit noch zunehmen wird, allein weil sich die Bevölkerung in Afrika zum Beispiel bis 2050 verdoppeln wird. Wir spüren das aber auch in der Frage eines aktiven Klimaschutzes, wo es ja nicht an gut gemeinten Zielsetzungen mangelt, sondern an der Umsetzung geeigneter Maßnahmen. Und machen wir uns nichts vor: Die Braunkohle allein wird nicht ausreichen, die Veränderungen des weltweiten Klimas positiv zu beeinflussen.

Bei allem Frust und aller Wut: Bedenken wir, woran wir gerade rütteln: an den Grundfesten unseres Rechtsstaates. Mein Recht hört da auf, wo das Recht des anderen beginnt. Dazu zählt das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines geflüchteten Menschen, aber auch das Recht auf Eigentum eines Unternehmens. Das Recht auf Demonstrationsfreiheit in Chemnitz oder im Hambacher Forst hat auch das stets zu berücksichtigen.

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