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Wichtiger ist, was im Kopf ist, als was auf dem Kopf ist!

Die aktuelle Diskussion um Kopftuch tragende Lehrerinnen, ausgelöst von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, reflektiert in der Tat Ängste vor dem Fremden und Unbekannten. Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich unser Land nachhaltig verändert hat und weiter verändert. Wer die Religionsfreiheit will, der muss auch wollen, dass grundsätzlich gleiches Recht für alle Religionen gilt. Der Staat ist hier neutral. Wer das nicht will, der soll sagen, welche Religionen in Deutschland warum nichts zu suchen haben und das Grundgesetz ändern.

Wer in Städten lebt, in denen viele Menschen leben, die gebürtig aus Russland kommen, wird feststellen, dass gerade ältere Frauen ein Kopftuch tragen. Ich selbst habe meine Oma, die als Bäuerin beruflich unterwegs war, mit Kopftuch in Erinnerung. Wer wie ich eine christliche Bekenntnisschule besuchte, der lebte mit Lehrern und Lehrerinnen, die mit ihrer Berufskleidung (Pater bzw. Nonne) Werte weitertrugen. Und wie werten wir das Kopftuch der britischen Queen am Rande der Pferdebahn in Ascot? Und wenn unsere Bundeskanzlerin beim Papst ist, wird auch ihr Haupt bedeckt sein!

Wenn ein Sikh aus religiösen Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, aber auch nicht nachvollziehen muss, sagt, dass er seine Haare nicht schneiden dürfe und aus diesem Grunde als Kopfbedeckung, einen Turban, trage, hätte er es zuvor - analog zum Kopftuch - auch in der Schule nicht tun dürfen. War das auch verboten?

Das Kopftuch wird aus meiner Sicht überhöht, weil damit gleich gestellt wird, dass die das Kopftuch tragenden Frauen unterdrückt werden. Ich habe in verschiedenen Städten junge Frauen kennengelernt, die sich sehr klug an öffentlichen Debatten beteiligten, ein Kopftuch trugen und nicht den Eindruck hinterließen, unterdrückt zu sein. Ich habe Frauen kennen gelernt, die mir gesagt haben, dass sie das Kopftuch ablegen könnten, wenn sie wollten, es für sie aber ungewohnt sei, da sie es als Tradition begreifen und verstehen. Dass es unterdrückte Frauen gibt, wird nicht zu bestreiten sein, doch das trifft auf Frauen mit und ohne Kopftuch zu.

Die Debatte wird aber auch überhöht, weil manche islam-orientierten Verbände und Organisationen die muslimische (und vielleicht auch männliche) Identität gefährdet sehen. Ein strukturierter Dialog auf kommunaler Ebene könnte dazu beitragen, auch hier Ängste zu nehmen und religiöse Wertschätzung zu vermitteln. Die Kopftuchdebatte ist letztendlich das, was wir darin sehen (wollen).

Für mich sind zwei Fragen wesentlich: Trägt der Mensch das Kopftuch - ob aus religiöser Motivation oder auch nicht - freiwillig oder gezwungen? Wie gelingt es unserer Gesellschaft, zum Beispiel den Wert der Gleichberechtigung der Geschlechter mit den Kleidungsvorschriften von Religionen in Einklang zu bringen? Hierüber sollten wir - mit Blick in eine gemeinsame Zukunft - gesellschaftlich streiten.

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, schreibt in seinem Buch "Islam ist Barmherzigkeit - Grundzüge einer modernen Religion", dass es im Koran keine Vorschrift gebe, die das Kopftuch explizit benenne. Gleichwohl argumentiert er aus dem historischen Kontext heraus, warum sich eine solche Kleidungstradition entwickelt hat. Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister der Hansestadt Bremen, erzählt in seinem Buch "Grau ist bunt" von seiner Oma, die vor fast 100 Jahren mit 28 Jahren zum zweiten Mal Witwe geworden sei. Seitdem sei sie nur in schwarzer (Trauer-) Kleidung und mit Dutt herumgelaufen. Das wäre heute undenkbar, auch bei einem solchen Schicksalsschlag.

Gott sei es gedankt: Kleidervorschriften bzw. zeitabhängige Kleidungsvorstellungen können sich ändern. Und die Einstellung dazu auch.  Denn wichtiger als das, was jemand auf dem Kopf hat, bleibt für uns alle das, was im Kopf des Menschen steckt.


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