Am 18. Oktober wurde nun auch in Köln die Stadtspitze neu gewählt. Mit einem Stimmenanteil von 52,7 Prozent ist die parteilose Henriette Reker, zuvor Sozialdezernentin, unterstützt von Bündnis 90 / Die Grünen, CDU und FDP, im ersten Wahlgang gewählt worden. Sie selbst konnte weder wählen, noch das Wahlergebnis zur Kenntnis nehmen, da sie nach einer Messerattacke tags zuvor notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt wurde. Die Wahlbeteiligung lag bei 40,3 Prozent. Mit anderen Worten: ein Fünftel der Wahlberechtigten hat sich aktiv für Henriette Reker entschieden. Ist das eine ausreichende Legitimierung?
60 Prozent der rund 810.000 Wahlberechtigten war es also vollkommen egal, wer Oberbürgermeister/in der viertgrößten deutschen Stadt Deutschlands wird. Sie haben - so scheint es - keine Beziehung zu ihrer Stadt, identifizieren sich nicht mit dem, was da geschieht, wie in dieser Stadt Zukunft aktiv gestaltet wird. Und vor allem wer das macht. Dabei ist das eine ganz entscheidende Frage. Das gilt nicht nur für Köln.
Es ist wichtig, dass die jeweilige Stadtspitze ihre Bevölkerung emotional erreicht, denn es gilt, die Menschen auf nachhaltige Veränderungen vorzubereiten. Allein die demografische Entwicklung sowie die Digitalisierung der Wirtschaft werden zum Beispiel dafür sorgen, dass die Zukunft nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit ist. Die aktuellen Flüchtlingszahlen belegen, dass die fernen Krisen auch hier spürbar werden. Und es erstaunt, wie schnell europäische Werte in Zäunen und Stacheldraht, in Abschottung und Ängsten untergepflügt werden. Doch Veränderung braucht Vertrauen, insbesondere in handelnde Personen.
Und gerade dieses Vertrauen wird nicht selten skrupellos verspielt. In Köln war nach der Kommunalwahl 2014 der Stadtspitze und der Ratsmehrheit die Macht wichtiger als ein korrekt ausgezähltes Wahlergebnis. Warum soll man dann wählen gehen? Auch gesellschaftliche Krisen wie der Abgasskandal bei VW oder die Diskussion der "gekauften Fußballweltmeisterschaft" 2006 tragen dazu bei, dass Menschen kaum noch positive Vorbilder finden, die ihnen einen Sinn für ein gesellschaftliches Miteinander vorleben. Selbst die Ikone Franz Beckenbauer scheint nun angekratzt! Das "Ich" scheint wichtiger als das "Wir"!
Die jüngste Shell-Jugendstudie belegt, dass junge Menschen sich sehr wohl politisch engagieren - nur nicht mehr den Weg in die Parteien finden. Müsste vielleicht der politische Prozess anders gestaltet werden, schließlich hat sich die Welt massiv geändert, nur unsere Demokratieverfahren sind seit 1949 gleich geblieben? In NRW sind sich Bündnis 90/Die Grünen, CDU und SPD einig: sie führen die Sperrklausel bei Kommunalwahlen wieder ein. Das fatale Signal lautet: Uns ist unsere Machtsicherung wichtiger als eine möglichst breite Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen. Die anderen Fragen zu lösen scheinen ihnen egal.
Egal - die neue politische Ideologie? Bei Bürgern und Politik? Driften beide Seiten mit Wucht auseinander?
Mein Vorschlag: Stellen Sie sich vor, wie suchen uns einen Stadtteil einer beliebigen Stadt aus, in der die geringste Wahlbeteiligung festzustellen war, sozusagen eine demokratiefreie Zone. Hier starten wir das Projekt: Verdoppelung der Wahlbeteiligung bei der nächsten Wahl. In Gesprächen mit Menschen vor Ort wird individuell herausgefunden, warum Menschen nicht teilnahmen bzw. was geschehen müsste, damit sie wieder Sinn in einer Teilnahme an Wahlen und damit auch einer Teilhabe an der Gesellschaft finden. Denn nur wer sich mit seiner Kommune identifiziert, wird sich auch für sie engagieren. Doch zuvor brauchen diese Menschen das Signal der Politik: Ihr seid uns nicht egal!
Meine Ahnung: Es geschieht leider nichts! Und bei der nächsten Wahl klagen wieder alle über die ach so geringe Wahlbeteiligung!